Aschau im Chiemgau: Ein Mord, der keiner war? Vor dem »Eiskeller«-Prozess

Datum28.09.2025 13:15

Quellewww.spiegel.de

TLDRDer Fall "Eiskeller-Mord" wird erneut verhandelt, nachdem das ursprüngliche Urteil gegen Sebastian T. wegen des Todes derStudentin Hanna W. aufgehoben wurde. Seine Anwältin, Regina Rick, bestreitet die Anschuldigungen und argumentiert, dass Hanna W. durch einen Unfall im Bärbach starb, nicht durch Gewalt. Die erste Verurteilung basierte auf Indizien und unglaubwürdigen Zeugenaussagen. Der zweite Prozess soll die Beweise umfassend neu prüfen, während Hannas Familie weiterhin ein Gewaltverbrechen vermutet. Sebastian T. ist nach 940 Tagen Haft frei.

InhaltSebastian T. kam ins Gefängnis, weil er eine Studentin getötet haben soll. Doch das Urteil wurde kassiert, nun steht er zum zweiten Mal vor Gericht. Seine Anwältin ist überzeugt, dass er es nicht gewesen sein kann. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Ein schwüler Tag im September, Regina Rick sitzt in ihrer Kanzlei im dritten Stock des Augustinerhauses in der Münchner Innenstadt. Eine kleine Frau mit hohen Absätzen, die ein Anwaltskollege einmal recht uncharmant als "Rottweiler" bezeichnete. Tatsächlich hat sich Regina Rick in den vergangenen 20 Jahren schon in so einige verloren geglaubte und prominente Fälle verbissen. Der jüngste davon, über den nun ab dem 29. September in Traunstein ein zweites Mal verhandelt werden wird, hat schon so viele Schlagzeilen gemacht, dass er in der Presse längst einen eigenen Namen hat: "Eiskeller-Mord". Doch es bleibt unklar, ob es sich dabei überhaupt um einen Mord handelt. Es ist ein Fall nach Ricks Geschmack: Die bayerische Justiz hatte ihr Urteil bereits gefällt, ein junger Mann, Sebastian T., war nach einem Indizienprozess im März 2024 des Mordes an einer jungen Frau, Hanna W., für schuldig befunden worden. "Sebastian T. hat einen entscheidenden Fehler gemacht", sagt Rick: "Er hat mit der Polizei geredet." Doch nun wird der Prozess noch einmal neu aufgerollt, alles beginnt von vorn. Im Oktober 2022 verbrachte Hanna W. ein paar Tage in ihrer Heimat Aschau, einem Ort im Chiemgau. Hierher kam die 23-Jährige regelmäßig, schlief bei ihren Eltern, traf ihre alte Clique, in Rumänien studierte sie Medizin. In der Nacht auf den 3. Oktober feierte Hanna W. mit Freundinnen im Eiskeller, einem Klub am Fuße von Schloss Hohenaschau. Aus dem gesamten bayerischen Voralpenland kommen junge Leute in dieser Eventlocation zusammen, das Innere ist an manchen Stellen in kühles, blaues Licht getaucht, eine Reminiszenz an die Zeit, als in dem Gewölbekeller Eisblöcke gelagert wurden. Kurz nach zwei Uhr nachts stellte sich Hanna W. mit ihren Freundinnen an der Garderobe an, um ihre Jacke abzuholen. Sie steckte ihr Handy in die rechte Jackentasche und trug eine kleine, schwarze Umhängetasche. Eine Überwachungskamera am Eingang des Eiskellers zeichnete die Szene auf. Ihre beiden Freundinnen waren mit dem Auto da, sie wollten Hanna W. die knapp 900 Meter zu ihrem Elternhaus mitnehmen, wie sie später aussagten. Doch W. wollte zu Fuß gehen. Aschau ist überschaubar, rund 6000 Menschen wohnen hier. Die Wege sind kurz und nachts einsam. Doch wer hier aufgewachsen ist, hat keine Angst. Die drei jungen Frauen verließen den Klub, Hanna W. stolperte kurz, sie hatte Wodka getrunken und 2,06 Promille im Blut, wie sich später herausstellen wird. Ab 3,0 Promille gehen Mediziner von einer Lebensgefahr aus. Sie blieb im Sichtbereich der Kamera, unterhielt sich mit anderen Besuchern. Ihre Freundinnen fuhren los. Zwölf Stunden später, am Nachmittag des 3. Oktober, wurde Hanna W. mehr als 12 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt aus der Prien geborgen. Ihr toter Körper hing in den Wurzeln des Uferdickichts, er war von Wunden übersät. Sie trug noch ihr Oberteil, Unterwäsche, Turnschuhe und Strümpfe. Ihre Umhängetasche, Lederjacke, Hose, Handy, Ausweis und Schmuck wurden zeitnah oder erst Wochen später gefunden. Was in jener Nacht passiert ist, wird in den kommenden Wochen die 1. Jugendkammer des Landgerichts Traunstein aufzuklären versuchen. Es ist das zweite Mal, dass Sebastian T., zur angeblichen Tatzeit 20 Jahre alt, in dieser Sache vor Gericht stehen wird. Vor eineinhalb Jahren hatte ihn eine andere Kammer am selben Gericht zu einer Jugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Richter waren überzeugt, dass Sebastian T. der betrunkenen Hanna W. begegnet war und dass er sie vergewaltigen wollte, dann aber bewusstlos schlug und in den nahen Bärbach warf, worauf sie ertrank. Auch Sebastian T. stammt aus Aschau. Er und Hanna W. kannten sich nicht. Sebastian T. bestreitet, Hanna W. in jener Nacht begegnet zu sein. Seine Anwältin Regina Rick reichte im Juni 2024 Revision ein, im April 2025 hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf, weil er die Unparteilichkeit der Vorsitzenden Richterin nicht gegeben sah. "Der Fall klingt ungeheuerlich, dabei wäre er eindeutig, hätten die Ermittler ihre Arbeit richtig gemacht", sagt Regina Rick im Gespräch in ihrem Büro. Rick hat den Fall erst übernommen, als der erste Prozess längst begonnen hatte, die wichtigsten Zeuginnen und Zeugen befragt worden waren. Am elften Verhandlungstag erschien sie erstmals am Landgericht Traunstein. Rick ist überzeugt: Hanna W.s Tod war ein Unfall. Die junge Frau sei unglücklich und stark alkoholisiert in den eiskalten Bärbach gestürzt. Entweder weil sie versucht habe, am Ufer auszutreten oder um ihre Hände im Bach zu waschen, nachdem sie sich übergeben hatte. Das Wasser habe sie mitgerissen, dabei habe sie Teile ihrer Kleidung verloren. Die Wucht des stark angeschwollenen Gewässers habe zu den Kopfverletzungen, Brüchen und Unterblutungen an Rücken und Oberarmen geführt. Während Sebastian T. mehr als 940 Tage lang im Gefängnis saß, starben seine Großmutter und seine Urgroßeltern. Sein Vater ist Gymnasiallehrer, die Mutter betreut Kinder mit Beeinträchtigung. Sebastian T. wohnt mit seinen Eltern, Schwestern, Großeltern, Tanten und Cousinen am Ortsrand. Ein wohlbehütetes Zuhause für T., der bei der Geburt zu wenig Sauerstoff bekam und entwicklungsverzögert war. Ein scheuer Heranwachsender mit einem Intelligenzquotienten von 80, der stottert und die Förderschule besuchte, noch nie eine Freundin hatte und zur Tatzeit eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker absolvierte. Als er inhaftiert wurde, entließ ihn sein Betrieb fristlos. Regina Rick, Strafverteidigerin Sebastian T. ist 1,67 Meter groß, er wog damals etwa 60 Kilogramm. Hanna W. war 19 Zentimeter größer, wog rund zehn Kilo mehr. Im Urteil steht, T. habe W. sexuell motiviert von hinten angesprungen, zu Boden geworfen, sich auf sie gekniet, ihr mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen und ihr die Hose heruntergezogen. Im Kampf soll Hanna noch versucht haben, einen Notruf abzusetzen. Sebastian T. soll ihr das Handy entrissen und es in den Bärbach geworfen haben. Um seine versuchte Sexualstraftat zu vertuschen, soll er Hanna in den 1,40 Meter tiefen, reißenden Bärbach gezogen haben. Darauf sei die junge Frau ertrunken. Ins Visier geriet Sebastian T., weil die Polizei nach dem Leichenfund einen Zeugenaufruf startete und seine Mutter es als ihre Pflicht sah, sich zu melden. Ihr Sohn sei in jener Nacht durch Aschau gejoggt, wie er es oft tue. Mit einer Stirnlampe, über den Parkplatz vor dem Eiskeller, herum um den Hügel, auf dem das Schloss liegt, zurück zu seinem Elternhaus. Vielleicht könne er Angaben machen, die bei der Aufklärung helfen. Die Mutter schickte den Sohn zur Polizei, ohne Begleitperson. "Ein großer Fehler", sagt Rick in ihrer Münchner Kanzlei. Sebastian T. sei mit der Vernehmung überfordert gewesen, kein Anwalt habe ihn begleitet. "Er wollte ja nur helfen", sagt Rick. Zweimal wurde Sebastian T. befragt, offiziell als Zeuge. Beim dritten Mal auf dem Revier galt er als Beschuldigter, als ein Pflichtverteidiger kam, brachen die Polizeibeamten die Vernehmung ab. Dreimal wurde sein Zuhause durchsucht, und es wurden sogenannte Abriebe, winzige Hautpartikel, von seinem Bettlaken und seiner Kleidung genommen. Sein Handy wurde ausgewertet: Drei Tage zuvor war darauf ein pornografisches Video angeklickt worden, das den Angriff auf eine Frau zeigt. Die nächtliche Uhrzeit, um Sport zu treiben; die Tatsache, dass Sebastian T. keinerlei sexuelle Erfahrungen hatte – Indizien, die zu seinen Lasten ausgelegt wurden. An Hanna W.s Leichnam fand sich keine DNA-Spur und kein Sperma von ihm. An Sebastian T.s Kleidung kein Tropfen Blut, kein Hautpartikel, nichts von ihr. Es gab keine Beweise, dass Sebastian T. am Ort des Geschehens war, es gab auch kein Geständnis. Trotzdem hielt ihn die bis zu 60-köpfige Sonderkommission für überführt. Regina Rick wird polemisch, wenn sie auf das Vorgehen der Ermittler zu sprechen kommt: "Die bayerische Polizei hat keine Aufklärungsquote von 100 Prozent, sondern mehr als 100 Prozent, weil sie auch Tötungsdelikte aufklärt, die keine waren." Das ist eine Anspielung auf den Fall des angeblich getöteten Bauern Rudi Rupp, der 2001 nach einem Wirtshausbesuch verschwand. Seine Ehefrau, zwei Töchter und ein Schwiegersohn gestanden nach zweifelhaften Vernehmungen, ihn zerstückelt zu haben – bis er acht Jahre später tot in der Donau gefunden wurde, hinter dem Steuer seines Mercedes. Zweimal stand die Familie vor Gericht, bis sie freigesprochen wurde. Rick vertrat damals eine der Töchter. Zu nennen ist hier auch der Fall des Hausmeisters Manfred Genditzki  , der dreimal vor Gericht stand und mehr als 13 Jahre lang wegen Mordes an einer alten Dame im Gefängnis saß, obwohl er unschuldig war. Rick holte ihn aus der Haft und konnte nachweisen, dass die 87-Jährige in ihrer Badewanne ertrunken war, nachdem sie kopfüber hineingefallen war. Für Rick ist der Fall Sebastian T. den Fällen Rupp und Genditzki ähnlich: In allen drei Verfahren vernahmen Polizeibeamte Personen, die ihnen ohne Rechtsbeistand gegenübertraten – und am Ende wurden aus diesen Zeuginnen und Zeugen Tatverdächtige. Walter Holderle, Anwalt der Familie W. Im Fall Aschau hat Rick deshalb Gutachten bei Experten eingeholt und Sebastian T.s Laufstrecke und Hanna W.s Heimweg rekonstruiert. Sie kommen zum Schluss, dass die Ereignisse zeitlich nicht zusammenpassen: Um Hanna W. zu begegnen, wie die Ermittler meinen, hätte Sebastian T. nach seiner Rückkehr noch einmal von zu Hause starten müssen. Gemessen wurde auch Hanna W.s Gehgeschwindigkeit anhand von drei Geodatenpunkten, also ihren exakten Positionen in jener Nacht. Der letzte Geodatenpunkt ist terminiert auf 2.31 Uhr. Einem Gutachten zufolge verzeichnet der Sensor von Hanna W.s Handy einen Temperatursturz zwischen 2:31:59 und 2:32:15 Uhr, zu dem Zeitpunkt muss sie ins Wasser gestürzt sein. Im ersten Verfahren ermittelte ein Sachverständiger andere Zeiten. Von Hanna W.s Handy gab es um 2:32:09 Uhr einen Anrufversuch auf die Festnetznummer ihrer Eltern, die Nummer hatte sie auf dem Handy als Notfallkontakt gespeichert. Rick glaubt – anders als die Ermittler – an einen unbeabsichtigten Anruf, ausgelöst durch Druck auf das Display des Handys. Am Ende stützten die Richter ihr Urteil im März 2024 auf einen zwielichtigen Hauptbelastungszeugen, einen Mithäftling von Sebastian T., der sich im Oktober 2023 während des laufenden Prozesses gemeldet und behauptet hatte: Sebastian T. habe ihm anvertraut, Hanna W. getötet zu haben. Die Kammer hatte kein aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubwürdigkeit des Zeugen eingeholt. Sechs Wochen lang arbeitete Regina Rick nach der Verurteilung von Sebastian T. an der 1800 Seiten langen Begründung ihres Antrags auf Revision, gemeinsam mit ihrem Hamburger Kollegen Yves Georg, einem Revisionsspezialisten. Mehrere Kilo habe sie in der Zeit verloren, sagt Rick. Mehr als zehnmal sei sie nach Aschau gefahren, habe den mutmaßlichen Ort untersucht, an dem Hanna W. verschwunden sein soll. Immer wieder sei sie den Weg abgelaufen, den Hanna W. kurz vor ihrem Tod gegangen sein muss: vom Eiskeller zur Kampenwandstraße, dann rechts am Bärbach entlang. Auch den Weg, den Hanna W.s Körper genommen haben muss, als ihn die Flut mitzog, ist Rick mit der Familie ihres Mandanten mehrfach abgelaufen. Die fünf Verletzungen an Hanna W.s Kopf, die Sebastian T. ihr mit einem stumpfen Gegenstand, laut Urteilsbegründung möglicherweise mit einem Stein, zugefügt haben soll, stammen laut Rick von einer Schraubenmutter. Das bestätigt ein neues hydrologisches Gutachten, wonach der Leichnam durch die Kraft der Strömung an ein sogenanntes Schütz bei der Oberprienmühle angetrieben wurde: Die dortigen Sechskantschraubenmuttern messen 24 Millimeter. Alle fünf Verletzungen an Hannas Kopf sind ebenfalls 24 Millimeter lang. Rick hat jedes Blatt Papier aus den Ermittlungsakten gesichtet, allein die Befragung aller Eiskeller-Gäste von jenem Oktoberabend füllt 19 Leitzordner. Sie stieß dabei auch auf eine Mail der Vorsitzenden Richterin an den Staatsanwalt während des ersten Prozesses, in der diese zweieinhalb Monate vor der Verkündung das spätere Urteil andeutete. Rick stellte einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit, der damals abgelehnt wurde. Erst im April 2025, ein Jahr nach der Verurteilung von Sebastian T., hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf – Begründung: Befangenheit der Richterin. Für Hanna W.s Eltern ist der bevorstehende Prozess ein schwerer Angang. Das juristische Tauziehen habe sie in ihrer Trauerarbeit zurückgeworfen, sagt ihr Anwalt Walter Holderle. Beim ersten Prozess hätten sie sich fast an allen Verhandlungstagen ins Gericht gesetzt, die letzten Stunden im Leben ihrer Tochter immer wieder aufs Neue nacherlebt. Sie hätten Zeuginnen, Zeugen und Sachverständigen zugehört. Jetzt noch einmal alles von vorn durchzumachen, das falle ihnen "sehr viel schwerer" als beim ersten Mal. Hanna W.s Eltern glaubten an den Rechtsstaat und daran, dass das Gericht alles Entlastende und Belastende "sorgfältig prüfen" werde, sagt der Anwalt aus Rosenheim. "Keinesfalls treten sie dem Angeklagten mit Argwohn gegenüber. Sie hoffen einfach auf Aufklärung." Und darauf, dass Sebastian T. dieses Mal Fragen beantworte und nicht schweige, wie im ersten Prozess. Regina Rick, Strafverteidigerin Einen Unfall schließen die Eltern aus. "Auch nach den von der Verteidigung vorgelegten ›Gutachten‹ gehen sowohl die Eltern als auch ich weiter von einem Gewaltverbrechen aus", sagt Holderle. Die Staatsanwaltschaft Traunstein sagt, sie habe "die Möglichkeit eines Unfallgeschehens von Anfang an intensiv geprüft". Aufgrund der Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren und der Beweisaufnahme vor Gericht ging man von einem Tötungsdelikt aus. An dem neuen Prozess werden zwei Staatsanwälte vertreten sein, die am ersten Prozess nicht beteiligt waren. Diese, so teilt die Behörde mit, werden sich "ein vollumfassendes Bild" machen und dann "ihre Anträge am Ende der Hauptverhandlung stellen". Die 1. Jugendkammer, die nun für den Fall zuständig ist, machte das, was im ersten Prozess versäumt wurde: Sie beauftragte den Rechtspsychologen Max Steller mit einem Gutachten des Hauptbelastungszeugen, dem Mithäftling von T. Dieser attestiert dem Mann eine ausgeprägte Neigung zum Lügen. Die Richter sahen daraufhin keinen dringenden Tatverdacht mehr und hoben im Juni den Haftbefehl gegen Sebastian T. auf. Nach mehr als 940 Nächten hinter Gittern ist T. derzeit ein freier Mann. Er muss auch keine Auflagen erfüllen. Rick hat ihm empfohlen, das Haus nur im Beisein einer seiner Schwestern, Cousinen, Tanten, Eltern oder seiner Großeltern zu verlassen. Sie will vermeiden, dass er im Ort bedroht oder beleidigt wird, nachdem ihr und ihm im Gerichtssaal anfangs Feindseligkeit entgegengeschlagen sei. Allerdings, sagt Rick, habe sich die Stimmung im Laufe der Hauptverhandlung zumindest bei den Zuschauerinnen und Zuschauern durchaus gewandelt. "Ich hatte den Eindruck, die Leute verstehen, dass es auch ganz anders gewesen sein kann, als die Staatsanwaltschaft behauptet", sagt Rick. Der neue, zweite Prozess findet so statt, als hätte es den ersten nicht gegeben. Rick sagt, sie wolle in der Hauptverhandlung alle Gutachten aufdröseln, alle Sachverständigen hören, alle Zweifel ausräumen. Sie erwarte keinen Freispruch aus Mangel an Beweisen, sondern aufgrund erwiesener Unschuld. Sie wolle das, damit Sebastian T. dort weiterleben könne, wo seine Familie seit vielen Jahrzehnten zu Hause ist. Damit alle, die in Aschau wohnen, von einem Gericht bestätigt bekommen, dass er nicht Hanna W.s Mörder ist. Vielleicht tut sie es auch für Hanna W.s Familie. Damit auch sie verlässliche Klarheit darüber hat, warum Hanna W. gestorben ist. Rick sagt: "Wir werden beweisen, dass es ein Unfall war." Lesen Sie hier ein Gespräch mit dem Rechtspsychologen Max Steller: "Ich traue Menschen Böses zu" .