Datum14.10.2025 09:48
Quellewww.spiegel.de
TLDRNick Woltemade, der 23-jährige Stürmer der deutschen Nationalelf, erzielte beim 1:0-Sieg gegen Nordirland in seinem sechsten Länderspiel sein erstes Tor. Trotz früherer Skepsis und schwacher Leistungen hat er in kürzester Zeit für Newcastle United auf sich aufmerksam gemacht, wo seine Ablöse auf bis zu 90 Millionen Euro steigen kann. Trainer Julian Nagelsmann lobte seinen kämpferischen Einsatz. Woltemades Kombination aus Größe und Technik sorgt für hohe Erwartungen, auch wenn er nicht der klassische Strafraumstürmer ist.
InhaltBis zu 90 Millionen Euro Ablöse, sofort Tore im neuen Klub, aber Skepsis in der Nationalelf: Nick Woltemade hat turbulente Wochen hinter sich. Kann sein Treffer in Nordirland der DFB-Durchbruch für ihn werden? Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Das größte Problem, eines, das ihn seit Wochen geplagt hatte, blieb Nick Woltemade diesmal erspart. Woltemade, 23, trat am Montagabend aus der Kabine der deutschen Fußball-Nationalelf der Männer im Windsor Park von Belfast. Seine kräftige Statur von 1,98 Meter korrespondierte nicht mit seinem jungenhaften, schüchternen Lächeln. Er sagte, von Deutschland nach Newcastle, wo er seit Ende August lebt, seien die Reiseanbindungen immer so schlecht. Deshalb sei er erleichtert, dass er nun von Nordirlands Hauptstadt aus "einen Direktflug" zurück in seine neue Heimat nehmen könne. Jener angenehme Umstand kam noch dazu zu diesem "sehr schönen" Abend von Belfast, der für Woltemade vielleicht einer der wichtigsten seiner Karriere war. Beim 1:0-Erfolg der deutschen Nationalelf in der WM-Qualifikation gegen Nordirland, einem Spiel, das vor einer berauschten Kulisse am Ende einem Abnutzungskampf glich, gelang Woltemade in seinem sechsten Länderspiel sein allererster Nationalelf-Treffer. Die fünf Partien zuvor hatte Woltemade oft ausgesehen, als gehöre er nicht dazu. Er trug zwar dasselbe Trikot wie seine Mitspieler, aber er wirkte vorn im Angriff wie ein einsamer Satellit im kalten, dunklen All. "Die letzten Spiele waren nicht ganz einfach für mich hier", sagte Woltemade, "deswegen bin ich sehr froh drum, dass ich jetzt auch mal einen Treffer beisteuern konnte." Der Fußball ist manchmal ein Trickbetrüger. Er kann 90 Minuten auf einen einzigen Augenblick zusammenschrumpfen lassen, sodass alles anders aussieht, als es tatsächlich ist. Am Ende steht dann einer als Held des Abends da, der eigentlich nicht gut gespielt hatte. Wie schon gegen Luxemburg am Freitag (4:0), im Hinspiel gegen Nordirland (3:1) oder beim 0:2 gegen die Slowakei vor einem Monat hatte Woltemade als Stoßstürmer in Belfast kaum einen Ball halten können. Die Kollegen suchten ihn zwar, aber sie fanden ihn nicht. Wer ohnehin schon skeptisch war, ob dieser Lulatsch wirklich die neue deutsche Angriffshoffnung sein kann, sah sich bestätigt. Aber dann rauschte in der 31. Minute eine Ecke von Linksverteidiger David Raum vor das Tor. Woltemade stieg hoch, verpasste den Ball mit dem Kopf, doch von seiner Schulter sprang er ins Netz. Ein Tor wie ein Versehen. "Schlussendlich ist es egal, wie er reinfliegt", sagte Woltemade später, "Hauptsache, er ist drin." Das ließ sich auch auf den Gesamtauftritt Woltemades beziehen: Egal, dass danach sein Restspiel wieder Schwächen aufwies, ihm die Bälle versprangen, er sich keine echte Torchance mehr erarbeiten konnte. Hauptsache, er war der Siegtorschütze. Der Bundestrainer lobte später interessanterweise etwas anderes: "In den letzten zwei Spielen war er einfach super viel fleißiger als zuvor", sagte Julian Nagelsmann über Woltemades Defensiveifer. Es ist ohnehin das neue Credo des eigentlich der besonderen Offensivkunst zugewandten 38-Jährigen: Nagelsmanns weiter sich suchende Nationalelf soll über die Kampfbereitschaft in die Spiele finden. Elf Drecksäcke sollt ihr sein. In dieser Lesart wurde die Partie später vom Bundestrainer und seinen Spielern ausgedeutet. "Manchmal sind es solche Spiele, die einen als Team wachsen lassen", sagte Vorlagengeber Raum. Und in dieser Hinsicht ist Woltemade vielleicht doch der passende Stürmer für diese Mannschaft: Denn er muss gerade sehr schnell wachsen. Wenn man so will, legt Woltemades Geschichte den Blick frei auf den ganzen Wahnsinn der Fußballbranche: das viele Geld, die rasanten Aufstiege, die großen Erwartungen, die nicht weniger rasanten Abstürze. Der Angreifer ist gerade in höchster Reisegeschwindigkeit unterwegs. Bis zum Sommer war er die meiste Zeit noch ein deutscher U-Nationalspieler, der beim VfB Stuttgart erst knapp eine halbe Saison lang nachgewiesen hatte, ein wirklich guter Stürmer sein zu können. Dann zahlte der Premier-League-Klub Newcastle United für ihn eine Ablöse, die auf bis zu 90 Millionen Euro ansteigen kann, was Bayern Münchens Aufsichtsrat Karl-Heinz Rummenigge dazu veranlasste, die Klubentscheider als "Idioten" zu bezeichnen. Auch an anderer Stelle gab es früh Zweifel an der Eignung für Höheres. Als ein Insider der Nationalelf vor fast einem Jahr nach Woltemades Qualitäten gefragt wurde, antwortete dieser noch so: "Der ist nix." Aber seitdem hat sich vieles rasant verändert. Woltemade hat für Newcastle bereits vier Tore in sechs Spielen erzielt. Kurioserweise entstanden die meisten davon ähnlich wie sein 1:0 gegen Nordirland: mit einer Prise Zufall. Woltemade wurde angeschossen, stand oft richtig. Es waren Treffer, die man früher als echte Stürmertore bezeichnet hätte. Nicht unbedingt schön, aber drin. Kurios ist das deswegen, weil Woltemade gar kein klassischer Torjäger ist (in Stuttgart schoss er 17 Tore in 33 Spielen). Die Fantasie, dass er irgendwann einmal ein Weltklassestürmer werden könnte, speist sich viel mehr aus der Kombination aus Größe, Geschwindigkeit und einer für seine Statur außergewöhnlichen Technik. Dieses Profil gibt es selten im Fußball. Das erklärt Woltemades Preis ein wenig. "Wolt the Hell", titelte Ende August das britische Revolverblatt "The Sun", als es bemerkte, dass Woltemades 1,98 Meter doch ziemlich groß sind. Aber Woltemade spielt eigentlich besser, wenn neben ihm ein weiterer Angreifer mitmischt, wie oft in Stuttgart. Dann kann er sich aus den engen Räumen vor dem gegnerischen Tor auch mal zurückfallen lassen. Weil die Defensivkräfte sich nicht nur auf ihn fokussieren, entfaltet er sich mit seinen Dribblings besser. In der Nationalelf gibt es seit geraumer Zeit keinen echten, unumstrittenen Strafraumstürmer mehr. Die Sehnsucht danach ist groß. Woltemade bietet hier eine gewisse Projektionsfläche, auch wenn sein Stil gar nicht zu dieser Rolle passt. Er ist ein Trugbild von einem klassischen, deutschen Strafraumstürmer. Doch es gibt auch die Möglichkeit, dass das alles in der Nationalelf irgendwann zueinanderpassen könnte. Mit dem noch verletzten Kai Havertz, einem Wandler zwischen Mittelfeld und Angriff, könnte vielleicht ein idealer Partner für Woltemade bald zurückkehren. "Nick wird weiter wachsen und ein besserer Spieler werden", sagte Linksverteidiger Raum noch über den Angreifer. "Das ist auch wichtig, denn wir brauchen ihn." Vor Woltemades Treffer hatte die deutsche Nationalelf 526 Minuten lang auf ein Stürmertor gewartet.