Karriere: Vera Strauch über Führung ohne Alpha-Gehabe

Datum15.10.2025 11:17

Quellewww.spiegel.de

TLDRVera Strauch, Gründerin von Dear Monday, betont in ihrem Interview, dass Frauen oft Führungsrollen ablehnen, nicht weil sie an sich zweifeln, sondern wegen unzureichender Bedingungen in Unternehmen. Sie empfiehlt empathisches und authentisches Führen, das persönliche Beziehungen wertschätzt. Strauch hebt hervor, dass Macht nicht nur formal, sondern vor allem in zwischenmenschlichen Beziehungen entsteht. Sie rät Führungskräften, Verletzlichkeit zu zeigen, klare Erwartungen zu kommunizieren und Vertrauen schrittweise aufzubauen, um eine starke Teamdynamik zu fördern.

InhaltMuss ich mich breitbeinig hinsetzen und meinen Autoschlüssel auf den Tisch legen? Frauen wurde lange nahegelegt, männlicher aufzutreten, wenn sie Karriere machen wollen. Gründerin Vera Strauch teilt fünf Führungstipps für Managerinnen und Manager, die keine Lust haben auf Machtspielchen. "Viele Frauen, mit denen ich arbeite, fragen sich: Kann ich mich empathisch und verletzlich zeigen, ohne plattgemacht zu werden?", sagt Vera Strauch. Sie ist Gründerin von Dear Monday, einer Weiterbildungsakademie für Frauen, und hat in ihren Kursen bislang 3000 Talente und weibliche Führungskräfte begleitet. In einer Studie mit Appinio ließ Strauch gerade über 1000 Fach- und Führungskräfte befragen. Ein Ergebnis: Rund 40 Prozent der Frauen lehnen eine Führungsrolle ab, bei Männern sind es nur 22 Prozent. Die Frauen begründeten ihre Haltung vor allem mit den Bedingungen, die sie in Unternehmen erleben. Sie fühlen sich ausgebremst von Stress, fehlender Vereinbarkeit von Beruf und Familie und mangelnder Wertschätzung. "Frauen lehnen nicht Führung ab, sondern die Bedingungen, unter denen sie führen sollen", sagt Strauch. Dabei zeigen Studien, dass Frauen oft sogar besser auf eine Führungsrolle vorbereitet sind  . Eigene Grenzen erkennen, Mitarbeitende fördern, Sinn und Ziele vermitteln – bei all diesen Kompetenzen moderner Führung schneiden weibliche Führungskräfte verschiedenen Untersuchungen zufolge besser ab als Männer. Fünf persönliche Führungstipps von Vera Strauch für Managerinnen und Manager, die keine Lust haben auf Alpha-Gehabe. Vera Strauch begann ihre Karriere in der Baubranche. Von der Auszubildenden stieg sie schnell zur Assistentin des Vorstands auf. Schließlich übernahm sie die Geschäftsführung eines Tochterunternehmens und musste nicht nur ihr Team, sondern auch Stakeholder wie den Betriebsrat, Kunden und Lieferanten führen. Eine junge Frau in einer Machtposition irritierte viele Bauunternehmer – und verunsicherte sie auch selbst. "Ich war sehr viel im Außen", sagt sie. "Was muss ich tun, damit ich es gut mache?" Diese Orientierung an den Erwartungen anderer erzeugte enormen Druck. Erst als Strauch begann, sich auf ihre eigenen Werte, Stärken und Bedürfnisse zu besinnen, fand sie ihre Führungsstimme: "Es war ein Prozess, weg vom Außen, hin zu mir. Heute würde ich sagen, ich zeige auch meine Ecken und Kanten. Das macht mich greifbar und stimmig." Ihr Fazit: "Führung ist immer auch eine Reise zu sich selbst." Chefinnen und Chefs sollten sich regelmäßig fragen: "Wer bin ich? Welche Werte möchte ich vertreten? Und wo bin ich bereit, nicht zu gefallen?" Diese innere Klarheit hilft dabei, sich auszurichten, und macht es auch dem Team einfacher, sich zu orientieren. Führung ist unweigerlich mit Macht verbunden. "Macht wirkt immer – ob wir wollen oder nicht. Wir sollten unsere Macht annehmen und aktiv gestalten", sagt Strauch. Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business managers, meldet sich alle zwei Wochen mit „Wegen guter Führung“. Sie spricht mit anderen Führungskräften und Expert:innen aus der Wissenschaft. Ehrlich, fundiert, offen und auch mal lustig. Sie teilt, was sie selbst gelernt hat, woran sie scheitert, und sie versucht, auch ihren Gästen zu entlocken, was sie sonst nur ihren Vertrauten verraten. Informelle Netzwerke und persönliche Beziehungen sind dabei häufig entscheidender als die offiziellen Strukturen. "Ich habe oft erlebt, wie Männer in Besprechungen ganz selbstverständlich ihr Territorium abstecken – mit Autoschlüsseln, Handys und breiten Gesten. Das kann verstörend sein, wenn man empathisch ist und authentisch auftreten will." Eine der wichtigsten Erkenntnisse ihrer Karriere war, dass Macht nicht nur in großen Meetings oder offiziellen Hierarchien verwurzelt ist, sondern vor allem in persönlichen Beziehungen. "Macht entsteht in der Eins-zu-eins-Beziehung, und die wird häufig vernachlässigt", sagt Strauch. Die größten Lautsprecher und Alphamänner zeigten bei einem gemeinsamen Mittagessen oder Spaziergang oft eine ganz andere Seite. Plötzlich gelingt die Kommunikation, vielleicht lassen sich so gemeinsame Ziele entdecken. "Wenn ich durch persönliche Treffen eine gute Beziehung zu einer machtvollen Person aufbaue, kann das auch in der Gruppe die Dynamik verschieben – ohne dass ich mich breitbeinig an den Kopf des Tisches setzen muss." Wenn Führungskräfte ihre Macht ignorieren, kann das genauso destruktiv wirken wie Machtmissbrauch. "Die schwierigste Führung ist die, die sagt: ›Hier ist nichts politisch‹ – und alle möglichen Konflikte ignoriert", sagt Strauch. Ein Beispiel sind Kündigungen oder Neueinstellungen, die oft in der Kommunikation übergangen werden. "Doch diese Informationen sind sensibel. Sie haben Auswirkungen auf die gesamte Dynamik im Team." Es entstehen Fragen: Wer hat diese Person eingestellt? An wen wird sie berichten? Welche Rolle wird die neue Kollegin einnehmen? "Solche Prozesse sind hochpolitisch, weil sie Machtverhältnisse sichtbar machen und verändern", sagt Strauch. "Deswegen plane ich die Kommunikation bewusst und nehme mir Zeit dafür." "Vertrauen ist nichts, was einfach da ist. Ich muss es mir als Führungskraft erarbeiten", sagt Vera Strauch. Sie unterscheidet zwei Ebenen. Ihren Mitarbeiterinnen schenkt sie ihr volles Vertrauen als Vorschuss – auch im Wissen um ihre machtvolle Position. Sie weiß aber auch, dass dieser Vertrauensvorschuss nicht automatisch erwidert wird. Besonders neue Mitarbeitende begegnen der Chefin oft zurückhaltend und skeptisch. "Vielleicht haben Sie auch schwierige Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht", sagt Strauch. "Dann brauchen Sie Zeit, Vertrauen aufzubauen und sich sicher zu fühlen." Sie rät Führungskräften, ihre eigenen Schwächen offen anzusprechen und Rat einzuholen. "Verletzlichkeit macht uns greifbar und angreifbar – und genau das würdigen Menschen, wenn wir ehrlich und mutig auftreten." In Gruppensituationen achtet sie darauf, konstruktiv auf Kritik oder Fehler zu reagieren, da diese Momente vom Team genau beobachtet werden. "Wenn ein Fehler passiert, schauen alle, wie ich reagiere. Ist das hier eine Kultur, in der es um Schuld geht? Oder geht es um Lösungen? Das sind Momente, in denen Vertrauen entsteht – oder zusammenbricht." Vertrauen und Empathie werden häufig missverstanden als weichgespülte Führung, die alles laufen lässt. Das Gegenteil ist der Fall. "Ich kommuniziere deutlich, was ich erwarte und was nicht geht", sagt Strauch. "Das ist genauso wichtig wie Vorschussvertrauen – es macht mich als Führungskraft greifbar." Grenzen helfen dem Team, die Erwartungen der Führungskraft zu verstehen und sich darauf einzulassen. Sie geben Sicherheit und verbessern die Zusammenarbeit, wie auch Studien zeigen. Ein britisches Forschungsteam untersuchte 2018 die Beziehung zwischen Mitarbeitenden und ihren Führungskräften. Das Ergebnis: Teilnehmer, die die Beziehung zu ihrem Chef oder ihrer Chefin als sehr ambivalent einstuften, lieferten eine schlechtere Leistung ab als solche, die ein geringes Maß an Ambivalenz angaben – und dies unabhängig davon, ob sie die Beziehung als gut oder schlecht bezeichneten. "Vertrauen ist nichts Weiches. Es braucht klare Linien, damit Menschen wissen, woran sie bei mir sind", sagt Strauch. "Klare Grenzen sind ein Zeichen von Respekt – für mich selbst und für mein Team." Das ganze Interview mit Vera Strauch hören Sie in der aktuellen Folge von "Wegen guter Führung". In "Wegen guter Führung – der ehrliche Führungspodcast" spricht Antonia Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business managers, alle zwei Wochen mit Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Sport über Führung, Strategie und Management. "Wegen guter Führung" erscheint 14-täglich hier sowie auf Spotify  und Apple  im Podcast.