Datum22.09.2025 14:04
Quellewww.zeit.de
TLDRMonika Schnitzer, eine führende Wirtschaftsweise, warnt, dass das deutsche Rentensystem reformbedürftig ist. Obwohl die Rente nicht unmittelbar gefährdet scheint, könnten ausbleibende Anpassungen in der Demografie und Altersstruktur zu Unsicherheiten führen. Aktuell zahlen drei Erwerbstätige für einen Rentner, was sich in den nächsten Jahren auf zwei verringern könnte. Die niedrige Geburtenrate und steigende Lebenserwartung stellen Herausforderungen dar, die ohne Reformen nicht bewältigt werden können. Politische Diskussionen über Rentenreformen sind aufgrund des Wählerinteresses an stabilen Renten selten.
InhaltDas System ist einfach zu alt für unsere Zeit, sagt die Frau, die es wissen muss. Die oberste Wirtschaftsweise erklärt genau, wie wir die Rente retten können – für alle. Dieses Interview basiert auf Auszügen eines Gesprächs im Rahmen der neuen ZEIT-Serie "Nur eine Frage", die auch als Podcast und Video erscheint. Die Auszüge wurden gekürzt, redigiert und teilweise umgestellt, um die Lesbarkeit zu verbessern. Den Newsletter N1F können Sie hier abonnieren.Redaktion: Jens Lubbadeh DIE ZEIT: Frau Professor Schnitzer, ist die Rente sicher? Monika Schnitzer: Das würde man gerne bejahen, und natürlich wird hier keiner im Alter am Hungertuch nagen, aber wir müssen schon etwas dafür tun, dass sie sicher bleibt. ZEIT: Haben Sie gerade Nein gesagt? Schnitzer: In diplomatischen Worten. ZEIT: Die Rente ist also nicht sicher? Schnitzer: Eigentlich nicht – wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine Reform. ZEIT: Wir haben während des Wahlkampfs mit verschiedenen Spitzenpolitikern über das Thema Rente debattiert. Unser Eindruck: Richtig gerne redet keiner darüber. Schnitzer: Es wird überhaupt nicht gerne über die Rente gesprochen. (lacht) Das ist auch einfach zu erklären. 40 Prozent der Wahlberechtigten bei der jüngsten Bundestagswahl waren älter als 60. Die sind schon mal sehr daran interessiert, dass sie eine auskömmliche Rente bekommen. Ganz sicher sind sie dagegen, dass man die Rentenanstiege begrenzt. Und vermutlich möchten sie auch nicht, dass das Renteneintrittsalter angehoben wird. Ihnen ist das Thema Rente vermutlich wichtiger als vielleicht das Thema Bildung für Kinder. ZEIT: Es muss doch auch Ältere geben, die sich um ihre Kinder sorgen und ein Interesse daran haben, dass die nachfolgenden Generationen einen neuen Deal bekommen? Schnitzer: Im Wahlergebnis sieht man das aber nicht. Es gibt eben auch viele Menschen ohne Kinder. Für die ist das kein Thema. ZEIT: Dann ist es also für Friedrich Merz nicht so klug, über radikale Reformen zu reden, die dazu führen würden, dass Leute, die bald in Rente gehen, vielleicht weniger bekommen? Schnitzer: Genau. Dieses Thema verspricht einfach keine Wahlsiege. Wenn überhaupt, spricht man damit nur die ganz Jungen an. Die aber machen ihre Wahlentscheidung offensichtlich noch nicht so stark davon abhängig. Und sie haben auch insgesamt nicht so viele Stimmen, als dass das die Wahl entscheiden könnte. ZEIT: Der legendäre Arbeitsminister Norbert Blüm versprach vor rund 30 Jahren noch das Gegenteil: "Die Rente ist sicher", so sein berühmt gewordener Satz. Immer wieder hieß es seitdem, dass das System zusammenbrechen werde. Das ist aber nicht passiert, trotz mehrerer Krisen. Die Rentendebatte ist aber immer noch da. Und Sie sagen jetzt erneut: Die Rente ist nicht sicher. Was stimmt? Schnitzer: Die Rente ist nicht sicher, wenn man jetzt nicht entsprechende Reformen in Angriff nimmt. Das Problem ist: Wir leben länger. Das ist eine tolle Sache. Aber es heißt auch, dass wir im Schnitt acht Jahre länger in Rente sind als noch vor 40 Jahren. Ich kann es am Beispiel meiner eigenen Familie erläutern: Zur Zeit meiner Großeltern lag das Renteneintrittsalter bei 65. Das haben meine Großeltern nicht erreicht. Meine Eltern aber sind schon über 90 geworden. Zweites Problem: Wir haben als Gesellschaft nicht ausreichend Kinder bekommen, um die Bevölkerung konstant zu halten. Die durchschnittliche Geburtenrate pro Frau liegt seit den Siebziger Jahren unter 2. Aber 2,1 bräuchte es. ZEIT: Bevor wir ins Detail gehen: Können Sie kurz erklären, wie das deutsche Rentensystem funktioniert? Es heißt immer, das gebe es ja schon seit der Kaiserzeit. Aber das bestehende System ist doch eigentlich eine relativ neue Erfindung? Schnitzer: Tatsächlich wurde erst in den 1950er-Jahren das Rentensystem auf ein sogenanntes Umlagesystem umgestellt. Das heißt: Die jungen Leute zahlen in die Rentenversicherung ein, aus den unmittelbar eingenommenen Zahlungen werden die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Deswegen ist die demografische Entwicklung so wichtig. ZEIT: Wie hat man es früher gemacht? Schnitzer: Entweder hat jeder für sich selbst gespart. Oder einfach für eigenen Nachwuchs gesorgt, der einen dann im Alter versorgt hat. Das Schöne am Umlagesystem ist, dass man darauf nicht mehr angewiesen ist. Schließlich kann auch nicht jeder Kinder bekommen, oder will es vielleicht auch nicht. Nur: Es braucht eben insgesamt genügend neue Kinder, um das Umlagesystem am Laufen zu halten. ZEIT: Wir haben die Großfamilie sozusagen verstaatlicht. Schnitzer: Wir haben sie vergemeinschaftet. Manche bekommen mehr Kinder. Dann fällt es nicht ins Gewicht, wenn andere nur ein Kind haben oder vielleicht gar keines. ZEIT: Wie viele Leute zahlen gerade die Rente von wie vielen? Schnitzer: Momentan ist es so, dass es pro Rentner drei Beitragszahlende sind. In zehn, 15 Jahren werden es aber nur noch zwei sein. ZEIT: Woher weiß man jetzt schon, wer in 15 Jahren die Rente zahlt? Schnitzer: Wir wissen, wie viele Kinder es gibt, somit wissen wir, wie viele 10-Jährige, 20-Jährige, 30-Jährige wir in 10, 20, 30 Jahren haben werden. Was wir jedoch nicht wissen, und das ist auch wichtig: Wie viel Zuwanderung werden wir haben? Natürlich gibt es Prognosen, aber die haben immer Unwägbarkeiten. Wir wissen außerdem nicht, wie viele Menschen das Land verlassen werden. Genauso wenig, wie viele von den Menschen, die hier einmal leben werden, dann wirklich in Beschäftigung sein werden. Denn natürlich zahlen nur die Rentenbeiträge ein.