Streit über Wehrdienst-Kompromiss: »Ich torpediere nicht« – Pistorius verteidigt sich gegen Kritik aus Union

Datum15.10.2025 02:13

Quellewww.spiegel.de

TLDRDer Streit um den Wehrdienst-Komprimiss eskaliert zwischen der SPD und der Union. Verteidigungsminister Boris Pistorius weist Vorwürfe der Union zurück, er sabotiere den Kompromiss. Während die Union auf eine automatische Wehrpflicht bei unzureichenden Freiwilligen drängt, lehnt die SPD dies ab. Unstimmigkeiten führten zur kurzfristigen Absage einer Pressekonferenz, dennoch will die Koalition den Gesetzesentwurf im Bundestag beraten. Hintergrund ist der Bedarf an 80.000 zusätzlichen Soldaten aufgrund der Sicherheitslage durch den Ukraine-Konflikt.

InhaltDie Bundeswehr braucht mehr Soldaten. Doch in der Koalition ist jetzt der Streit über das Wie eskaliert. Die Union wirft Verteidigungsminister Boris Pistorius Sabotage vor. Der weist das vehement zurück. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat den Vorwurf zurückgewiesen, den zwischen den Fraktionen von Union und SPD ausgehandelten Kompromiss zum Wehrdienstgesetz sabotiert zu haben. "Ich torpediere nicht, und ich bin auch nicht destruktiv", sagte der SPD-Politiker am Dienstagabend dem "Tagesspiegel" mit Blick auf eine entsprechende Äußerung von Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU). "Ich habe nur gewisse Schwierigkeiten damit, dass zwei elementare Stellen meines Gesetzentwurfs geändert werden, bevor dieser überhaupt offiziell in den Bundestag eingebracht worden ist", so Pistorius. Diese Bedenken habe er auch nicht erst heute geltend gemacht. Das Kabinett hatte sich bereits im August auf einen von Pistorius vorgelegten Gesetzentwurf verständigt, der zunächst auf Freiwilligkeit bei der Rekrutierung von Wehrdienstleistenden setzt. Die Union war damit aber unzufrieden und drängte auf eine automatische Einführung der Wehrpflicht, wenn bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genug Freiwillige gefunden werden. Das wiederum lehnte die SPD ab. Unterhändler beiden Seiten verständigten sich nun in den vergangenen Tagen auf einen Kompromiss – der eigentlich am Dienstagnachmittag vorgestellt werden sollte. Aber vor allem der Plan, notfalls per Los zu bestimmen, wer zur Musterung muss, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, stieß auf großen Widerstand in der SPD-Bundestagsfraktion. Dort soll am Nachmittag vor allem Pistorius gegen die Einigung Stimmung gemacht haben. Die Koalitionspartner ließen deshalb die geplante Pressekonferenz zu dem Gesetzentwurf kurzfristig platzen. (Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem Streit finden Sie hier  .) Trotzdem will die Koalition nun aber den Gesetzentwurf von Pistorius im Bundestag beraten. Beide Seiten betonten am späten Dienstagabend ihren Willen, das Gesetz wie geplant am Donnerstag ins Parlament einzubringen. Ein SPD-Fraktionssprecher verwies auf einen Fraktionsbeschluss vom Nachmittag, nach dem die Einbringung trotz der Unstimmigkeiten in der Koalition stattfinden solle. "Das Parlament ist der richtige Ort, um offene Fragen bei so einem wichtigen Gesetz zu klären", sagte der Sprecher. CDU-Generalsekretär Linnemann sagte in der am Abend ausgestrahlten ZDF-Sendung "Markus Lanz": "Wir wollen unbedingt in dieser Woche in die erste Lesung." Unionsfraktionsvize Röttgen hatte für die Union den Kompromiss auf Fachebene mit ausgehandelt. Er griff Pistorius frontal an: "Ich kann nicht verstehen, wie man einen Gesetzgebungsprozess als Verteidigungsminister derart torpedieren und sich so destruktiv verhalten kann", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte Röttgen: "Ich habe es in über 30 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag noch nie erlebt, dass ein Bundesminister in seinem eigenen Verantwortungsbereich ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren frontal torpediert und die eigene Fraktion ins Chaos stürzt." Die Grünen reagierten entgeistert auf den Konflikt. Die sicherheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Sara Nanni, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "In der Koalition tun sich Abgründe auf. Im Vergleich dazu waren die Auseinandersetzungen mit Christian Lindner in der Ampelkoalition die reinsten Harmonieveranstaltungen." Das Verteidigungsministerium und die Truppe müssten dringend wissen, wie es jetzt mit dem Wehrdienst weitergehe. Hintergrund für die geplante Wehrdienstreform ist, dass die Bundeswehr 80.000 zusätzliche Soldaten benötigt. Als Begründung wird eine Verschärfung der Bedrohungslage infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine genannt. Aktuell hat die Bundeswehr etwa 183.000 aktive Soldatinnen und Soldaten, rund 260.000 sollen es bis Anfang der 2030er-Jahre werden. Auch die Reserve soll wachsen.