Datum31.12.2025 20:18
Quellewww.spiegel.de
TLDRDer Artikel stellt die besten Podcasts des Jahres 2025 vor, darunter "Land ohne Vater", der die Opfer des NSU thematisiert, und "Döner Papers", der die Herkunft des Döner-Logo erforscht. Auch die Aids-Epidemie wird im Podcast "When We All Get To Heaven" beleuchtet. Weitere erwähnte Formate sind "Die Goldspur", der sich mit illegalem Gold handelt, und das persönliche Dokuformat "Alternate Realities". Schließlich wird "House of Houmsi" vorgestellt, ein wöchentlicher Videopodcast über popkulturelle und gesellschaftliche Themen.
InhaltDie überraschende Suche nach dem Erfinder des "Döner"-Logos und eine Reihe über die Aids-Epidemie in den Achtzigern: Das sind die unterhaltsamsten und interessantesten Podcasts des Jahres 2025. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Alle vorgestellten Podcasts sind auf den gängigen Streaming-Plattformen abrufbar. Ein großer Vorteil, den Podcasts gegenüber Radio, Fernsehen oder Social Media haben, ist: Sie haben Zeit. Es gibt keine begrenzten Sendeslots und es lauert nicht das nächste 30-sekündige Katzenvideo, das um Aufmerksamkeit buhlt. Eine Podcast-Episode kann so lang oder kurz sein, wie es der Inhalt einfordert, und eine Podcast-Doku kann einem Thema durch ihre Tiefe eine neue Sichtbarkeit verschaffen. So geschieht es auch in "Land ohne Vater", einer sechsteiligen Aufarbeitung der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU). Im Mittelpunkt stehen die Geschichten von Gamze Kubaşık und Semiya Şimşek. Ihre Väter, Mehmet und Enver, wurden Opfer des NSU – und Gamze und Semiya als Angehörige ebenso. Jahrelang mussten sie und ihre Familien darunter leiden, dass sich die Polizei weigerte, nach rechts zu ermitteln, erzählen sie. "Döner-Morde" hieß es lange in den Medien und es wurde spekuliert, dass ihre Väter in Drogengeschäfte verwickelt gewesen seien. Carolina Torres ist freie Journalistin, Autorin und Podcasterin. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Anna Scholz schreibt sie den Newsletter "Oh my pod!" , in dem die beiden abwechselnd ihre besten Podcast-Empfehlungen teilen. Als die Morde endlich aufgeklärt werden und der verantwortliche NSU als rechtsextreme Terrorgruppe identifiziert wird, beginnt ein zweiter Trauerprozess für die Töchter: um ihr Heimatland, in dem sie sich nicht mehr sicher fühlen. Die Produktionsfirma "Wondery" hat mit Host und Autorin Antonia Woloshyn eine eindrückliche, sechsteilige Geschichte produziert, die zum einen von den langen Gesprächen mit Kubaşık und Şimşek lebt, zum anderen aber auch von den ergänzenden, eher ungewöhnlichen Interviewpartner:innen: Wir hören von einer bekannten Rechtsextremistin, die Insider-Wissen teilt, einem FBI-Profiler und einem Polizeibeamten, der schon früh die Arbeit seiner Kolleg:innen anzweifelte. "Land ohne Vater" ist nicht nur packendes Storytelling, sondern trägt dazu bei, dass dieses dunkle Kapitel der jüngeren deutschen Vergangenheit nicht vergessen wird. Auf den ersten Blick wirft ein Döner nicht viele Fragen auf. (Außer vielleicht: Lamm oder Kalb?) Doch wer sich dem Fast-Food-Gericht etwas eingehender widmet – genauer gesagt, seiner Verpackung –, kann sogar einen ganzen Doku-Investigativ-Podcast dazu produzieren. Aylin Doğan, Host von "Döner Papers", lässt die Frage nicht los: Wer hat eigentlich das Logo auf der Döner-Tüte gestaltet? Und macht sich auf die Suche. Wir kennen es alle: rot auf weiß, ein Dönermann, ein Dönerspieß, ein säbelähnliches Messer. Und darüber die Worte "Döner Kebab". Das Logo ist Symbol der Einwandererkultur in Deutschland und längst auch Teil der Popkultur, es wird auf T-Shirts und Mützen gedruckt und täglich tausendfach – oder wer weiß, vielleicht sogar millionenfach – um einen Döner gewickelt über den Tresen geschoben. Sein Erfinder müsste steinreich sein. Aber wer ist es? Doğan und ihr Team lassen nichts unversucht: Sie fragen in Dönerbuden nach, in Druckereien, beim Patentamt. Und müssen feststellen, dass ein Mann sich das Logo gesichert hat, der zwar vieles ist: Autor, Schauspieler, Sammler und Immobilienexperte – aber nicht der Erfinder des Döner-Logos. Sie wollen Gerechtigkeit schaffen. Und dann kommt doch alles ganz anders. "Döner Papers" ist genau wie sein Titel wahnsinnig selbstironisch, sprachlich ein großer Spaß – und nimmt sich trotzdem an den richtigen Stellen ernst. Etwa, wenn es um die Gastarbeiter:innen geht, die den Döner in den Achtzigern erfunden haben. Die akribische Investigativarbeit führt die Podcast-Macher zu Grafikern, Hochschulprofessoren und Werbeagenturen – und damit näher und näher zu einer Antwort. Transparenzhinweis: Die Autorinnen arbeiten frei für die Firma Kugel und Niere, die auch "Döner Papers" produziert hat. In den Achtzigerjahren wird San Francisco zum Epizentrum der Aida-Epidemie in den USA. Während die Politik diese Katastrophe lange ignoriert – und dann stigmatisiert – wird eine Kirche zum sicheren Hafen der queeren Community. Die Metropolitan Community Church in San Francisco war schon seit ihrer Gründung 1968 eine queerfreundliche Institution. Als während der Achtzigerjahre immer mehr Mitglieder krank werden und sterben, findet sich die Kirche im Zentrum der sozialen, persönlichen und politischen Herausforderungen der Aids-Krise wieder. Welche Rolle spielt Spiritualität in solchen Zeiten, und was kann eine Glaubensgemeinschaft ausrichten? Wie begleitet man junge Menschen, die dazu noch häufig von ihren Familien verstoßen wurden, in den Tod? Das hören wir in dem einzigartigen Podcastprojekt "When We All Get To Heaven". Religionswissenschaftlerin und Host Lynne Gerber hat zehn Jahre lang das Archiv der Kirche ausgewertet, ein Archiv, in dem 1200 Kassetten lagerten: Audioaufnahmen von Gottesdiensten, Ansprachen, Chorgesängen und Gesprächskreisen aus eben jenen Jahren. Angereichert mit Zeitzeug:innen-Gesprächen entsteht ein tiefer Einblick in eine angsterfüllte Zeit, die gleichzeitig Menschen eng zusammenschweißte. Die Dokuserie nimmt sich zehn Folgen Zeit, um das Archivmaterial wirken zu lassen. Hier geht es nicht um Höchstspannung und Sensationslust, hier geht es um Emotionen. Als Hörer:in kann man sich durch die ausgeruhte und empathische Erzählweise einfühlen in die Angst, Trauer und Ohnmacht, aber auch Hoffnung und Liebe der Betroffenen und ihrer Freund:innen. "Wir haben getan, was wir konnten. Und das war in erster Linie: füreinander da zu sein", sagt eine Zeitzeugin. Eine wilde Verfolgungsjagd zu Wasser, Schreie, ein Schuss: Ab der ersten Folge sind die Hörerinnen und Hörer des Podcasts "Die Goldspur" mitten im Geschehen. Genau wie Reporter Fabian Federl, der sich in der vierteiligen WDR-Doku auf eine gefährliche wie globale Spurensuche begibt: Wie kommt Gold aus Südamerika nach Europa – und woher weiß man, ob es uns auf legalem Wege erreicht hat? Federls Reise beginnt im Regenwald von Französisch Guayana, wo er einen fünftägigen Militäreinsatz gegen illegale Goldwäscher begleitet. Er beobachtet dort, wie das illegale Gold aus dem Regenwald mit Quecksilber gereinigt wird – ein Prozess, der Mensch und Umwelt nachhaltig schädigt. Dieses Gold wird über Suriname nach Dubai und schließlich bis in die Schweiz verschickt. Doch unterwegs geschieht etwas Seltsames: Das illegale Gold aus dem Regenwald kommt als "sauberes" zertifiziertes Gold in der Schweiz an. Wie ist das passiert? Was wie ein abstrakter Wirtschaftsskandal klingt, betrifft uns alle unmittelbar. Denn Gold ist eines der meistgehandelten Güter weltweit, es steckt nicht nur in Tresoren, sondern auch in unseren Smartphones und Laptops. Und wäre es nicht gut zu wissen, ob das Gold in unseren Handys mit Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen belastet ist? "Die Goldspur" ist nicht nur aufgrund inhaltlicher Relevanz ein Podcast des Jahres, sondern auch, weil es sich um eine sehr aufwendig recherchierte und produzierte Reportage handelt, die man selten so auf dem deutschsprachigen Podcast-Markt hört. Federl folgt dem Gold ein Jahr lang über drei Kontinente und sechs Länder hinweg. Möglich wurde diese besondere Tiefe durch eine Förderung des Rainforest Investigation Network des renommierten Pulitzer-Centers. Das Ergebnis ist ein Podcast, der investigativen Journalismus auf höchstem Niveau mit fesselndem Storytelling verbindet. Zack Macks Vater, ein konservativer Christ aus den USA, glaubt, dass der Staat das Wetter kontrolliert und eine Schattenregierung den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 inszeniert hat. Zack Mack ist Journalist und versucht, seinen Vater davon zu überzeugen, dass das alles Quatsch ist. Doch recht bald sind alle Argumente ausgetauscht. Und dann probiert Macks Vater etwas Neues: Er prophezeit seinem Sohn zehn Szenarien, die innerhalb von einem Jahr eintreten sollen. Darunter etwa, dass die ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama und Joe Biden von einem Gericht des Hochverrats schuldig gesprochen werden und in den USA das Kriegsrecht verhängt wird. 10.000 Dollar will er darauf verwetten. Sein Sohn Zack nimmt die Wette an. "Alternate Realities" ist ein dreiteiliges, sehr persönliches Dokuformat des öffentlichen-rechtlichen Radio-Senders NPR, das die Geschichte der Familie Mack über den Zeitraum der Wette, also ein Jahr lang, begleitet. Zack versucht, besser zu verstehen, warum Menschen wie sein Vater Verschwörungserzählungen folgen. Obwohl das Format häufig einen locker-lustigen Ton anschlägt und die Absurdität des Szenarios klar benennt, droht die Familie daran zu zerbrechen: Vater Mack fängt ohne das Einverständnis seiner Ehefrau an zu preppen und gibt viel Geld dafür aus. Sie überlegt, ihn zu verlassen. Auch mit seiner lesbischen Tochter ist das Verhältnis angespannt: Vater Mack glaubt, Sexualität sei eine Entscheidung – und seine Tochter treffe die falsche. Das Besondere an diesem Format ist, dass wir nicht nur zwei Personen unterschiedlicher politischer Lager zuhören, sondern Vater und Sohn, zwei Menschen, die ihre Streitgespräche mit "Love you, son" und "Love you, dad" beenden. Zack hofft, am Ende der Wette seinen Vater zum Umdenken zu bewegen. Aber ist das an diesem Punkt überhaupt noch möglich? Wie man auch in dieser Liste erkennen kann, sind es häufig die aufwendigen Dokuserien, die in der Podcast-Welt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch eine weitere, wichtige Säule für viele Podcast-Fans sind die sogenannten Always-on-Formate. Also solche, die verlässlich Woche für Woche erscheinen und sich in Alltagsroutinen verankern. Seit Herbst 2025 mischt auch Journalistin und Moderatorin Salwa Houmsi in diesem Genre mit. In ihrem Videopodcast "House of Houmsi" bespricht sie jeden Samstag, was in der vorangegangenen Woche popkulturell und gesellschaftlich wichtig war. Meistens gibt es ein Schwerpunktthema, zum Beispiel die Kritik an der TV-Doku über Jérôme Boateng. Houmsi trägt den Podcast komplett allein: Über rund 45 Minuten hostet, analysiert, kommentiert und unterhält sie – ohne Co-Host, ohne Redaktion, ohne doppelten Boden. Eine Kunst, die nur wenige so souverän beherrschen. Der Monolog-Podcast ist damit endgültig aus der Selbsthilfe-Bubble in den Mainstream gewandert. Bemerkenswert ist außerdem, dass "House of Houmsi" auch in der Produktion vollständig in ihrer Hand liegt: Houmsi hat sich ihr eigenes Videoset gebaut, kümmert sich um Technik und Schnitt und verantwortet jede Folge von der Idee bis zum Upload. Eine erfrischende Rarität in einer Podcast-Landschaft, die zunehmend von durchproduzierten Promiformaten mit großen Teams im Rücken geprägt ist. Dadurch erreicht uns auch die Meinung von Salwa Houmsi unmittelbar und ungefiltert. Sie beleuchtet ihre Themen aus einem intersektionalen feministischen Blickwinkel, ist dabei nahbar, humorvoll und fair in ihrer Kritik. "House of Houmsi" schafft Orientierung ohne Zeigefinger, Haltung ohne Polarisierung. Wer popkulturell und gesellschaftlich auf dem Laufenden bleiben will, ohne sich durch endlose Social-Media-Feeds zu scrollen, findet hier einen klugen, relevanten und kurzweiligen Wochen-Podcast.