Landtagswahl in Rheinland-Pfalz: Keine Hilfe vom großen Bruder

Datum29.12.2025 17:21

Quellewww.spiegel.de

TLDRGordon Schnieder, der Landtagskandidat der CDU in Rheinland-Pfalz, sieht sich vor der Herausforderung, gegen die regierende SPD zu bestehen, während sein Bruder Patrick als Bundesverkehrsminister in Berlin agiert. Trotz besserer Umfragewerte der Landes-CDU plagen Schnieder die Schatten seiner Bundespartei, die aktuell schwächelt. Politische Familienthemen und unpopuläre Entscheidungen des Bundesministeriums belasten Schnieders Wahlkampf. Unterstützung von oben bleibt fraglich, da die Partei seit 35 Jahren in der Opposition ist und der Fokus auf einer möglichen Großen Koalition liegt.

InhaltCDU-Mann Gordon Schnieder will im März Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz werden. Die Chancen stehen nicht schlecht – wäre da nicht sein mächtiger Bruder in Berlin. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Die üblichen Parteitagsrituale für Kanzlerbesuche beherrscht die Union auch im Luftkurort Morbach im Hunsrück. Wummernde Bässe, rhythmisches Klatschen, euphorische Begrüßungsansprache. "Die Stimmung ist bombastisch!", ruft der rheinland-pfälzische CDU-Landeschef Gordon Schnieder dem "lieben Friedrich" entgegen. Insgesamt dreimal, so Schnieder, werde Merz vor der Landtagswahl im Frühjahr ins Bundesland kommen: "Du unterstützt uns in diesem Wahlkampf." Das war Mitte November beim Landesparteitag der CDU. Doch während Schnieder vorn auf der Bühne seinen Gast aus Berlin bejubelte, dürften sich die Zuschauer unten im Saal gefragt haben, wie dieser Bundeskanzler und seine Regierung irgendeine Hilfe im Wahlkampf sein sollen. Unterstützung? Aus Berlin? Von einer Bundespartei, die in der Koalition bislang kaum Akzente setzen konnte und sich zuletzt im Rentenstreit beinah selbst zerlegte? Unwahrscheinlich. Dabei hatte sich Gordon Schnieder, 50, das Ganze wohl schöner vorgestellt. Als Familiensache quasi. Gordon ist der jüngere Bruder von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder. Bei der Landtagswahl in drei Monaten soll ihm gelingen, worauf die Christdemokraten in Rheinland-Pfalz seit mittlerweile dreieinhalb Jahrzehnten warten: die CDU aus der Opposition wieder an die Regierung zu bringen. Als gefährlichsten Gegner sehen viele Christdemokraten im Landesverband derzeit aber nicht die regierende SPD in Mainz. Sondern die CDU-geführte Bundesregierung. Der große Bruder steht dem kleinen im Weg. Brüderpaare sind in der deutschen Politik eher selten, das bekannteste bestand aus Hans-Jochen und Bernhard Vogel. Während Hans-Jochen die Bundes-SPD führte, regierte Bernhard als bislang letzter bei einer Landtagswahl siegreicher CDU-Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und später in Thüringen. Anders als diese beiden sind Gordon und Patrick Schnieder sogar in derselben Partei – aber Gordon kann bislang nicht von seinem älteren Bruder und dessen bundespolitischer Rolle profitieren. Im Gegenteil. Dabei stehen seine Chancen in Rheinland-Pfalz auf den ersten Blick gar nicht schlecht. Seit mehr als zwei Jahren liegt die Landes-CDU in Meinungsumfragen vor den regierenden Sozialdemokraten. Allerdings war das in den vergangenen Jahrzehnten schon häufiger der Fall – bis der Trend kurz vor dem Wahltag doch noch kippte. Am Ende siegten die Sozialdemokraten mit populären Spitzenleuten wie Kurt Beck oder Malu Dreyer. Und diesmal? Dreyers Nachfolger Alexander Schweitzer gibt sich sicher, dass der Effekt auch 2026 eintreten wird. Die Umfragen seien vom miesen Image der Bundes-SPD geprägt, beschwört er seine Leute im kleinen Kreis. Je näher der Wahltag rücke, desto klarer werde den Menschen, dass es um eine Entscheidung zwischen zwei Kandidaten auf Landesebene gehe. Und da sieht sich Schweitzer vorn. Seit er vor eineinhalb Jahren die Regierung übernommen hat, absolviert er einen Terminmarathon durch Dörfer, Landkreise und Volksfeste, hervorragend organisiert von seiner Staatskanzlei. Schnieder kann dem nicht viel entgegensetzen, er hat kein Regierungsamt. Sein Bruder Patrick schon. Aber als Bundesverkehrsminister steht er eben auch für chronische Bahnverspätungen und marode Autobahnbrücken. Und schadet damit seinem kleinen Bruder wohl mehr, als dass er ihm hilft. Die Ampelregierung in Mainz leitet den Frust über Staus und Verkehrsprobleme jedenfalls gern ans Haus Schnieder weiter und erklärt sich selbst für nicht verantwortlich – selbst wenn es nur um eine gesperrte Autobahnabfahrt bei Mainz geht. Sie habe den Bundesverkehrsminister bereits auf die Bedeutung dieser Abfahrtsrampe für "unsere Pendlerinnen und Pendler" hingewiesen, schimpfte Schweitzers Verkehrsministerin Daniela Schmitt (FDP) kürzlich in einer Erklärung mit dem Titel "Schmitt drängt Schnieder". Der Bundesminister habe nicht einmal geantwortet. Das wirkte schon fast wie eine Art politischer Sippenhaft. Irgendwas vom ganzen Ärger werde schon beim kleinen Bruder in Mainz hängen bleiben, so offenbar das Kalkül. Schweitzer nutze für seinen Wahlkampf schamlos die aufgeblähte Ausstattung seiner Staatskanzlei, beklagt Gordon Schnieder. Fast 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort seien größtenteils damit beschäftigt, ihren Chef vorteilhaft in Szene zu setzen. Er selbst müsse in der Landes-CDU mit drei Mitarbeitern für Öffentlichkeitsarbeit auskommen. Das SPD-Lager kontert, Schnieder verbreite "Mondzahlen" und deute selbst Teilzeitkräfte im Archiv der Staatskanzlei zu PR-Expertinnen um. Überdies werde Schweitzers Wahlkampf nicht von der Staatskanzlei geführt, sondern vom SPD-Landesverband – der sei ähnlich ausgestattet wie die CDU. Bei den persönlichen Bekanntheits- und Beliebtheitswerten liegt Schnieder bisher klar hinter Schweitzer. Die Verbindung mit dem etwas bekannteren Bruder in Berlin helfe da auch nicht, räumen Christdemokraten in Mainz ein. Zumal laut einer Umfrage aus dem Sommer nicht einmal jeder Fünfte in Deutschland den Bundesverkehrsminister kennt. Um den Rückstand aufzuholen, hat sich der Landespolitiker Schnieder ein Abendprogramm zum Kennenlernen ausarbeiten lassen: "Gordon persönlich". Dazu lässt er Jugend- und Familienfotos durch die Säle tragen, beantwortet teilweise vorbereitete Fragen einer Mitarbeiterin zu seinen drei Kindern, seinen Geschwistern, seinem Werdegang, seinem Lieblingsgetränk: angeblich Rieslingschorle. Auch sein Bruder kommt an diesen Abenden vor. Ohne dass er anwesend wäre. In die CDU sei er eingetreten, weil ihn ein Parteitagsauftritt seines Bruders beeindruckt habe, so erzählt es Schnieder bei einem Auftritt im rheinhessischen Wörrstadt. Der sieben Jahre ältere Patrick, damals Kreisvorsitzender der Jungen Union, habe für mehr jüngere Leute auf einer CDU-Kandidatenliste gestritten. Im katholischen Hause Schnieder war wohl ohnehin klar, dass für Familienmitglieder nur die Union als akzeptable Partei infrage kam. Sein Vater habe in seinem Heimatdorf den CDU-Ortsverband gegründet, erzählt Schnieder. "Er war mein politischer Ziehvater." Aufgewachsen sind die Schnieder-Brüder in Birresborn, einem Ort mit rund 1000 Einwohnern in der dünn besiedelten Vulkaneifel. Gordon Schnieder lebt dort heute noch, im Familienhaus seiner Eltern. Er ist Fördermitglied der Feuerwehr, war lange Vorsitzender des Musikvereins, ohne dort ein Instrument zu spielen. Er war bei der Bundeswehr, hat Finanzwirtschaft und Steuerrecht studiert. Bevor er in den Landtag kam, war er Finanzbeamter und hat in einer Kreisverwaltung gearbeitet. In Wörrstadt erwähnt er mehrfach, dass er "vom Dorf" komme und dort auch in Zukunft leben wolle. Sein Bruder wohne ebenfalls noch in der Gegend, etwa 30 Autominuten entfernt, sagt Gordon Schnieder. Aber eigentlich will er nicht viel über Patrick und dessen Politik sprechen. Man sehe sich selten im Moment, fast nur zu Familienfesten oder bei Parteiterminen. Und ja, man sei auch mal politisch unterschiedlicher Meinung, trage das aber gelassen aus, ohne große Emotionen. Was Politiker eben so sagen, wenn sie gleichzeitig auf Differenzen hinweisen und ein harmonisches Bild zeichnen wollen. Ob er dem Patrick auch mal eine wütende Sprachnachricht schickt, was die Bundesregierung sich da gerade wieder leistet? Ob er ihn anfleht, wenigstens bis zur Wahl im März mal geräuschlos zu regieren? Zu all dem hört man von Gordon Schnieder an diesem Abend nichts. Bei "Gordon persönlich" steht er im dunkelblauen Anzug etwas hüftsteif an einem Stehtisch, ein Mikrofon in der Hand. Bis zur ersten Reihe des Publikums klafft eine Distanz von etwa sechs, sieben Metern. Die gut 80 Zuhörerinnen und Zuhörer applaudieren höflich. Die meisten von ihnen sind Parteifreunde. Der CDU-Landeschef ist keiner, der Marktplätze oder Hallen zum Kochen bringt, das hat er mit seinem Bruder gemeinsam. Seine Auftritte wirken sachlich und seriös, wie ein Gegenmodell zu den quirlig-lauten Kampagnen seiner Vorgängerin Julia Klöckner. Die Bundestagspräsidentin war in den Zehnerjahren zweimal erfolglos bei Landtagswahlen für die CDU in Rheinland-Pfalz angetreten. Im Wahlkampf 2016 hatte sie sich schon vorab zur "neuen Ministerpräsidentin" ausgerufen, dann aber in der Frage verheddert, ob sie sich von der Flüchtlingspolitik Angela Merkels distanzieren wolle oder nicht. So ein Herumgeeiere werde es mit Schnieder nicht geben, versichern seine Vertrauten. Der Landesparteichef setzt auf klare Ansagen, etwa beim Umgang mit der AfD. Eine Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen werde es in Rheinland-Pfalz nicht geben, auch nicht auf kommunaler Ebene. "Wenn die CDU das irgendwann hier machen sollte, dann ist es auch nicht mehr meine Partei", sagt er in Wörrstadt. Seine Partei steht bislang diszipliniert hinter ihm, das ist keine Selbstverständlichkeit in Rheinland-Pfalz. Seit einer Revolte von Parteirebellen gegen den damaligen CDU-Ministerpräsidenten Vogel vor 37 Jahren hat sich der Landesverband immer wieder in Macht- und Grabenkämpfen aufgerieben. Auch Schnieder ist durch einen CDU-internen Putsch vor drei Jahren gegen den damaligen Fraktions- und Parteichef Christian Baldauf in seine Spitzenämter gekommen. Seitdem ist es zumindest an der Oberfläche der Partei ruhig. Mit einer zerstritten wirkenden Truppe brauche man im harmoniebedürftigen Rheinland-Pfalz gar nicht erst zur Wahl anzutreten, sagen Parteileute. Die Wahl könnte für Schnieder auch dann ein Erfolg werden, wenn die CDU nicht stärkste Partei wird. Laut Umfragen ist fraglich, ob die FDP es erneut in den Landtag schafft und die Mainzer Ampel weitermachen kann. Die wahrscheinlichste Regierungsoption ist derzeit eine Große Koalition. In der Landes-CDU sagen viele, sie könnten auch damit leben, als Juniorpartner in die Regierung einzuziehen. Nach 35 Jahren Opposition wäre das schon ein Fortschritt. Schnieder würde dann wohl Finanzminister und hätte eine gute Startrampe für die übernächste Wahl. Während der vergangenen Monate habe sich Gordon Schnieder mehrfach in Berlin beklagt, dass es so nicht weitergehen könne, sagen seine Leute. Ende Oktober ging er auch an die Öffentlichkeit, um seinem Ärger Luft zu machen. Wenn zwischen den Koalitionären ständig öffentlich gezankt werde, nutze das nur Populisten und Extremisten, warnte er – und erinnerte den Kanzler an seine Führungsverantwortung: "Wenn sich da die Reihen nicht bald schließen, muss es am Ende ein Machtwort von ganz oben geben", forderte Schnieder. Viel besser ist es seither nicht geworden. Vielleicht nimmt Gordon Schnieder an Weihnachten doch noch mal seinen Bruder ins Gebet. An den Festtagen dürften die beiden sich ja mal wieder begegnen.