Datum29.12.2025 15:32
Quellewww.zeit.de
TLDRIm Jahr 2025 verzeichnet die Polizei in Baden-Württemberg einen dramatischen Anstieg der tödlichen Polizeischüsse, mit 15 Vorfällen und acht Todesfällen bis zum 8. Dezember. Dies stellt einen Höchstwert im Vergleich zu den Jahren 2016-2024 dar, als jährlich nur zwischen null und drei Menschen getötet wurden. Innenminister Thomas Strobl betont, dass der Schusswaffengebrauch als letzter Ausweg gilt. Polizeigewerkschaften kritisieren die zunehmende Gewaltbereitschaft und fordern die Einführung von Tasern für Streifenpolizisten zur Deeskalation.
InhaltHier finden Sie Informationen zu dem Thema „Verbrechensbekämpfung“. Lesen Sie jetzt „Tödliche Polizeischüsse: Fälle steigen 2025 drastisch“. Die Polizei in Baden-Württemberg hat im laufenden Jahr so viele Menschen erschossen wie seit vielen Jahren nicht mehr. Nach Angaben des Innenministeriums kam es bis zum 8. Dezember 2025 zu 15 Einsätzen, bei denen eine Dienstwaffe unmittelbar gegen Personen eingesetzt wurde. Dabei kamen acht Menschen ums Leben, sieben davon direkt infolge der Schussverletzungen. Drei Personen wurden bei den Einsätzen verletzt. Zum Vergleich: Zwischen 2016 und 2024 wurden jährlich lediglich zwischen null und drei Menschen durch Polizeischüsse getötet. Trotz des Anstiegs betont das Innenministerium, dass der Einsatz der Schusswaffe als Ultima Ratio erfolge, also nur als allerletzter Ausweg. Zudem würden die gesetzlichen Vorgaben strikt eingehalten. "Die Gesamtzahl der Schusswaffengebräuche gegen Personen befindet sich seit vielen Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau", heißt es aus dem Haus von Innenminister Thomas Strobl (CDU). Zwischen 2016 und 2024 wurden jährlich zwischen null und drei Menschen durch Polizeischüsse getötet. Die Zahl der Schusswaffengebräuche schwankte im selben Zeitraum zwischen zwei und 13 Fällen. Damit markiert 2025 in dieser Zeitspanne einen Höchstwert sowohl beim Schusswaffengebrauch als auch bei den tödlichen Einsätzen. Mitte April etwa erschossen die Beamten einen Mann in Hilzingen im Kreis Konstanz, der mit einer Axt auf sie losgegangen war. Wenige Tage zuvor erschoss ein Polizist in Schramberg im Kreis Rottweil einen 48-Jährigen, der eine Schusswaffe auf die Polizei richtete und sie auf mehrfache Anordnung nicht weglegen wollte. Im Juni erschoss die Polizei in Wangen im Landkreis Göppingen einen 27 Jahre alten Mann. Er hatte die Beamten nach Auskunft des Landeskriminalamtes mit einem Messer angegriffen. Im Februar töteten Polizisten in Eichstetten am Kaiserstuhl einen Mann, der seine Lebensgefährtin und das gemeinsame Kind geschlagen und mit einer Schrotflinte bedroht hatte. Für die Polizeigewerkschaften im Land ist der Höchststand kein statistischer Ausreißer – sondern Ausdruck einer veränderten Einsatzrealität für die Polizei. "Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte werden zunehmend mit hochdynamischen, lebensbedrohlichen Lagen konfrontiert", kritisiert Thomas Mohr von der Gewerkschaft der Polizei. Die wachsende Gewaltbereitschaft und Unberechenbarkeit von Lagen sei seit Jahren spürbar. Dabei habe sich die Schwelle für den Gebrauch der Schusswaffe nicht verändert, so Mohr. Diese sei weiterhin hoch. Die Schusswaffeneinsätze seien nach derzeitigem Kenntnisstand rechtmäßig gewesen. "Die Kolleginnen und Kollegen handeln nicht leichter oder schneller als früher", sagt der Gewerkschafter. "Sie werden jedoch häufiger in Situationen gebracht, in denen binnen Sekunden über Leben und Tod entschieden werden muss." "Leider haben wir es immer mehr mit Menschen zu tun, die unter psychischen Vorerkrankungen leiden, in psychischen Ausnahmesituationen handeln, oder auch unter Drogen und Alkoholeinfluss stehen", sagt der neue Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Dirk Preis. Sowohl in der Ausrüstung als auch in der Ausbildung siegt die DPolG "deutlich Luft nach oben" im Südwesten. Die Gewerkschaft fordert seit Jahren die Einführung des sogenannten Tasers für den Streifendienst. Die nun beginnende Erprobungsphase sei hingegen ein Witz, kritisiert Preis. Bisher gehörte der Taser nur bei Spezialeinheiten der Polizei zur Ausrüstung – nun sollen auch Streifenpolizisten in Baden-Württemberg die Alternative zur Schusswaffe bekommen, zumindest testweise in einigen Regionen. Ausprobieren sollen die Elektroimpulsgeräte laut Innenministerium ab Januar Beamtinnen und Beamte in Südbaden. Zudem wird eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit des Polizeipräsidiums Einsatz in Göppingen mit Tasern ausgestattet. Mit einem Taser wird ein Gegner mehrere Sekunden lang wegen einer Lähmung im Nervensystem handlungsunfähig gemacht. Deutlich häufiger als gegen Menschen setzten die Beamten im Südwesten ihre Dienstwaffen ein, um gefährliche, kranke oder verletzte Tiere zu töten. Allein im vergangenen Jahr schossen sie rund 1.500 Mal auf Tiere. © dpa-infocom, dpa:251229-930-474521/2