Jan Marsalek auf der Flucht: Wie wir den Ex-Wirecard-Manager in Moskau aufspürten

Datum29.12.2025 13:52

Quellewww.spiegel.de

TLDRDer SPIEGEL hat den flüchtigen Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek nach fünf Jahren Recherche in Moskau aufgespürt. Marsalek lebt dort unter falscher Identität und arbeitet offenbar für den russischen Geheimdienst. Die Suche begann 2020, als erste Hinweise zu seinen Verbindungen zu Geheimdiensten auftauchten. Dank detaillierter Ermittlungen, einschließlich der Analyse von Daten und Überwachungsaufnahmen, konnte sein Aufenthaltsort und sein neues Leben ermittelt werden. Der Artikel beleuchtet zudem seine mutmaßliche Rolle in einem Entführungsplan gegen Journalisten.

InhaltFünf Jahre lang suchte der SPIEGEL nach dem untergetauchten Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek. Und fand ihn in Moskau, mit neuem Namen, neuen Haaren, neuer Freundin – und einem Job beim Geheimdienst. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. In persönlichen Jahresrückblicken berichten SPIEGEL-Redakteurinnen und -Redakteure, welche Texte sie 2025 besonders beschäftigt haben. "Aufgespürt in Moskau" titelte der SPIEGEL im September 2025. Nach Jahren der Recherche war es uns endlich gelungen, Jan Marsalek zu finden  . Es hatte an einem sonnigen Tag im Sommer 2020 begonnen. Ich saß am Bodensee und telefonierte mit meinem Kollegen Christo Grozev. Er recherchiert seit Längerem für den SPIEGEL zu Wladimir Putins Machenschaften. Ich erzählte ihm von Wirecard, dem Dax-Konzern, der gerade pleitegegangen war. "Wir sollten Marsalek finden", sagte ich zu ihm. "Wer soll das sein?", antwortete Grozev. Mir war es bis kurz zuvor ähnlich ergangen. Ich hatte mich nie mit dem deutschen Zahlungsdienstleister beschäftigt. Das änderte sich, als uns erste Hinweise erreichten, der Ex-Vorstand von Wirecard, Jan Marsalek, habe Kontakte zu ausländischen Geheimdiensten. So wurde Marsalek für unser Team mit Grozev, Roman Lehberger, Roman Dobrokhotov und weiteren Kolleginnen und Kollegen vom langweiligen Manager zu einem Mann, der uns sehr interessierte: Geheimdienste sind unser Kerngeschäft, insbesondere die russischen. In jenem Sommer vergingen nur Tage, bis wir nachweisen konnten, dass Marsalek sich nach der Wirecard-Pleite mit einem Charterjet nach Belarus abgesetzt hatte. Von dort war er mutmaßlich nach Russland weitergeflohen, sicher wusste das damals niemand. Wir wandten uns zunächst anderen Themen zu. Es gab so viele: Moskaus Spione waren aktiv wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr. Doch Marsalek sollte uns bald über Jahre beschäftigen, wir wussten es nur noch nicht. 2023 erfuhren wir, dass eine Truppe Bulgaren unsere Kollegen Grozev und Dobrokhotov ausspionierte. Sie wollten eine Entführung der beiden vorbereiten – oder sogar ihre Ermordung. Britische Ermittler vermuteten Russland als Auftraggeber. Und Jan Marsalek als Drahtzieher des Komplotts. Nach dem ersten Schock wurde der Ex-Wirecard-Manager zur Priorität unserer Recherchen. Dobrokhotov und Grozev suchten nun nicht nur einen flüchtigen Pleitier und Betrüger, sondern auch den Mann, der ihnen nach dem Leben trachtete. Wir durchkämmten geleakte Datenbanken medizinischer Labore und Aufnahmen von Überwachungskameras. Wir analysierten Flugbuchungsdaten und eine russische Datenbank mit Reisepassanträgen. Wir befragten Marsaleks Umfeld und durchleuchteten seine Kontaktpersonen. Anfang 2024 gelang uns der erste Durchbruch: Wir entdeckten gleich mehrere falsche Personalien, die Marsalek in Russland nutzte. Unter anderem hatte er die Identität eines orthodoxen Priesters gekapert  – mithilfe seiner Freunde aus dem Moskauer Sicherheitsapparat. Marsalek stand, auch das konnten wir zeigen, seit Jahren in Diensten eines russischen Geheimdiensts. Doch wo genau steckte er inzwischen? In Dubai, wo wir seinen mutmaßlichen Führungsoffizier aufgestöbert hatten? In Venezuela? In Thailand? Oder doch in Moskau? Am Ende half uns die Liebe. Wir fanden Marsaleks neue Lebensgefährtin, Tatjana Spiridonowa. Und stießen auf gemeinsame Reisen mit Marsalek, unter dem falschen Namen Alexander Nelidow, dazu eine Telefonnummer, die offenbar ihm gehörte. Über geleakte Handy-Standortdaten konnten wir ein Bewegungsmuster rekonstruieren: Zu Bürozeiten hielt sich der Apparat mit der Nummer oft an der Zentrale des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB am Lubjanka-Platz in Moskau auf. Und dann entdeckten wir ihn tatsächlich, auf Fotos von Überwachungskameras: Jan Marsalek trug jetzt oftmals eine Brille und hatte sich offenbar einer Haartransplantation unterzogen. Vergleiche mit einer Software für Gesichtserkennung gaben uns nahezu Gewissheit: Marsalek lebt in Moskau  und arbeitet für Putins Inlandsgeheimdienst. Im Herbst enthüllten wir sein neues Leben in einer Titelgeschichte. Seither haben sich zahlreiche weitere Spuren ergeben. Sie legen nahe, dass der Ex-Wirecard-Manager an weiteren Zwischenfällen beteiligt gewesen sein könnte, die weltweit Aufsehen erregten. Wir bleiben dran an Jan Marsalek.