"Tatort" Wiesbaden: Sie können froh sein, dass ich mich im Griff habe

Datum28.12.2025 21:43

Quellewww.zeit.de

TLDRDer neue Wiesbadener "Tatort" mit dem Titel "Murot und der Elefant im Raum" enttäuscht durch schwache schauspielerische Leistungen, insbesondere von Christian "Flake" Lorenz. Die Handlung dreht sich um eine Entführung und die verzweifelten Versuche des Kommissars Murot, ein vermisstes Kind zu finden. Der Film leidet unter langatmiger Erzählweise und unklaren Regeln, während der Humor flach bleibt. Zudem wird die weibliche Co-Ermittlerin Wächter oft unrechtmäßig kritisiert, was die männliche Dominanz im Film unterstreicht.

InhaltDer neue Murot-"Tatort" aus Wiesbaden wirkt stellenweise wie eine unterfinanzierte Theateraufführung. Immerhin hat der Kommissar eine ungewöhnliche Ermittlungsmethode. Der neue Wiesbadener Tatort: Murot und der Elefant im Raum (HR-Redaktion: Jörg Himstedt) hatte schon vor Drehbeginn für Schlagzeilen gesorgt. Die Musikerin, Autorin und Theatermacherin Christiane Rösinger sagte ihre Rolle ab, als klar war, dass auch Christian "Flake" Lorenz mitspielen würde, der Keyboarder der Band Rammstein. Rösinger erklärte im Spiegel, "dass ich auf keine Weise mit dem System Rammstein in Verbindung gebracht werden will. Das würde allem widersprechen, was ich die vergangenen Jahrzehnte mit meiner Musik und meinen Texten vermitteln wollte". Tatort-Multitalent Dietrich Brüggemann (Musik, Drehbuch, Regie) hatte dieses Problem offenbar nicht. Für den Auftritt einer bekannten, aber schauspielfremden Person gibt es naturgemäß viele Gründe (Insider-Gag, Freundschaftsdienst, Bekanntschaftsstolz, gute Zeit), Diesmal gibt es von solchen Auftritten aber deutlich weniger als in Das ist unser Haus aus Stuttgart 2021, nur zwei. Was immer also zur Besetzung des Rammstein-Keyboarders geführt haben mag (Casting: Nathalie Mischel) – schauspielerische Fähigkeiten können es nicht gewesen sein, seine Arzt-Sätze entbietet er eher steril ("Da haben Sie Recht, das ist ein interessanter Zufall"). Was auch mit der wenig beschwingten Gesamtsituation zu tun hat. Anders als die drei Tatort-Folgen von Brüggemann zuvor – Das ist unser Haus, Stau (2017) und Murot und das Murmeltier (2019), auf den das Ende dieses Films müde anspielt –, kommt Murot und der Elefant im Raum nie recht vom Fleck.  Das kann daran liegen, dass es einzig darum geht, ein Kind zu finden. Eva Hütter (Nadine Dubois) entführt ihren Sohn Benjamin (Lio Vonnemann) aus der Gerichtsverhandlung über das Sorgerecht in eine abgelegene Hütte. Weil sie die geliebten Cerealien des Filius aber nicht dabei hat, fährt sie zum Supermarkt und baut auf dem Rückweg einen Autounfall, der sie bewusstlos ins Krankenhaus bringt. Der kleine Racker bleibt allein im Wald zurück. Eine nicht unoriginelle Idee, die am Anfang eines Horrorfilms oder einer Komödie stehen könnte, in diesem ARD-Sonntagabendkrimi allerdings schmucklos entfaltet wird. Schon die Entführung sieht albern aus. Hütter rammt einen Bleistift in den vor ihr liegenden Apfel mit scheinbar cleverer Erklärung ("Der ist ja ganz schön spitz"), aus der die Drohung sprechen soll, den Stift notfalls als Waffe zu verwenden. Dafür müsste sie ihn dem Kind eigentlich an den Hals halten beim Rausgehen mit dem Rücken zur Wand, was allerdings ein krasses Bild wäre. Deshalb vermeidet der Film es vermutlich, was ihn wiederum aussehen lässt wie eine unterfinanzierte Theateraufführung, bei der sich die Betrachterin all das denken muss, wofür kein Geld da war. In der Hütte spielt Dubois als Mutter so superhöflich am Kind vorbei, als wolle sie noch dem versammelten Gerichtssaal zur Wiedergutmachung Liebe und Güte demonstrieren. Diese unpassende Form der Darstellung verbindet sie mit Joseph Konrad Bundschuh, dem Mimen des getrennt von Hütter lebenden Kindsvaters, der, nachvollziehbarerweise genervt, wenn nicht total aggro auftritt. In einem Cafeteria-Gespräch mit Wächter (Barbara Philipp) sagt er fürs Protokoll plötzlich aber größtmütiges Verständnis für die nicht leichte Ex-Freundin auf – eine Männerfantasie, die entsprechend leblos klingt. Originell ist, wie Murot das verlassene Kind zu finden versucht. Er schließt sich mit einer Spezialmaschine seines Therapeuten (Robert Gwisdek) an die Psyche von Eva Hütter an. Das ist nur leider schon der ganze Witz, die Durchführung in mehreren Versuchen erweist sich als langatmig und dröge. Während es bei der nicht unähnlichen Struktur von Murot und das Murmeltier eine einfache, kluge und spannende Vorgabe gab (aus der Zeitschleife entkommt man erst, wenn niemand stirbt), sind die Regeln hier unklar. Halb ermittelt Murot was in der Gedankenwelt, halb geht er selbst in dem diffusen Selbstfindungsempfindsamkeitsgerede auf ("sein inneres Kind finden"), was wenig Reiz verströmt, weil man den psychischen Ballast des Kommissars gar nicht kennt. Für Ulrich Tukur, der als Schauspieler Wert auf Virtuosität, Formvollendung und Körperspannung legt, die er noch beim Chatten am Handy in der Bar markieren kann, ist das lange, glückliche Finale eine ziemliche Herausforderung; seliges Lächeln liegt ihm nicht. Stichwort Humor. Den wenigen Gags fehlt es an Timing, wenn sie nicht als Kalauer eh so pflichtschuldig gemacht werden, dass selbst die Nacherzählung noch Unverständnis bewirkt. Ein Ort im Film heißt Usingen, was Murot bei einem Lied im Autoradio, in dem Frauen "You" trällern, zu der Bemerkung zwingt, die würden das ja machen – U singen.  Der Tatort lehrt auch, dass nicht jeder Versuch des Nachäffens etwa von politischer Rhetorik automatisch eine gelungene Persiflage ergibt, was Drehbuchautor Brüggemann als kreativen Kopf hinter der misslungenen Coronapolitik-Satire #allesdichtmachen in Erinnerung ruft (bei der Murot-Darsteller Ulrich Tukur mit von der Partie war). Und ein spezifisches Interesse dieses Films erkennen lässt. So macht der im Tatort-Kosmos bereits vergebene Folgentitel mehr oder überhaupt Sinn, wenn man ihn als Hundepfeifenpfiff an das Heer der sogenannten Maßnahmenkritiker liest. Mehrfach empören sich in Murot und der Elefant im Raum zutiefst beleidigte Personen (Kindsvater, Therapeut), weil sie das Gefühl haben, dass ihnen vonseiten des Staates übel mitgespielt wird. Adressat dieses Ärgers ist aber merkwürdigerweise nicht der prominenteste Staatsdiener in der Runde, Kommissar Murot. Das meiste kriegt vielmehr die arme Co-Ermittlerin Wächter ab, was immerhin konsequent ist, insofern der Film von lauter Männern dominiert wird. Wächter muss am Ende an Murots statt die erlösenden Worte aussprechen: "Es tut uns leid, wir haben unsere Lektion gelernt." Inschallah. Mit etwas Abstand betrachtet erzählt der Tatort indes eine andere Geschichte – Ressentiment dreht keine guten Filme. Ein Hinweis, mit dem man Mansplainern kommen kann: "Ich sehe hier, wenn ich ehrlich bin, keine so richtige Entwicklung."   Ein Auskunft, mit der sich in Videokonferenzen beeindrucken lässt: "Vor allem Cannabis, MDMA und ähnliches."   Ein Satz, der aus Kollegen Freunde macht: "Seit wann stellen Sie mir so private Fragen?"