SPIEGEL-Jahresrückblick: Wie ich versuchte, in die verstaubte Welt der Männerbünde einzutauchen

Datum27.12.2025 15:47

Quellewww.spiegel.de

TLDRIn einem Jahresrückblick berichtet eine SPIEGEL-Redakteurin von ihrer Recherche über rechte Burschenschaften in Österreich. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und der Männerdomäne gelang es ihr und ihrer Kollegin, den Vorsitzenden der "Libertas" zu interviewen. Die Burschenschaft, bekannt für ihre blutigen Fechtkämpfe und den "deutschen Vaterland"-Schwur, zeigt sich als verstaubt und hierarchisch. Die Redakteurin findet den Reiz der alten Traditionen unerklärlich und plant, auch Damenverbindungen zu erkunden, um mehr über die geschlechtergetrennte Welt der Verbindungen zu erfahren.

InhaltZwischen Fechtkämpfen und Vaterlandskult: Die Recherche über rechte Burschenschaften stellte meine Kollegin und mich vor ein Rätsel. Warum nur sollte man hier mitmachen wollen? In persönlichen Jahresrückblicken berichten SPIEGEL-Redakteurinnen und -Redakteure, welche Texte sie 2025 besonders beschäftigt haben. Wir waren kurz davor aufzugeben. Meine Kollegin und ich hatten Mails geschrieben, bei Vereinen angefragt, herumtelefoniert. Aber "Burschis" reden einfach nicht mit Journalistinnen. Das hatten wir schon zu Anfang unserer Recherche für eine Podcastserie über Studentenverbindungen gehört, jetzt schien es sich zu bestätigen. Einschleichen konnten wir uns schlecht, Frauen sind bei den allermeisten Verbindungen nicht erlaubt. Aber dann meldete sich doch jemand. Und zwar nicht irgendein Burschenschafter, sondern der Vorsitzende der umstrittenen "Libertas" in Wien. Die Burschenschaft war 1871 die erste, die den sogenannten Arierparagrafen einführte, der Juden ausschloss. Bis heute ist sie pflichtschlagend: Ihre Mitglieder nehmen an blutigen Fechtkämpfen teil, bei denen Teile des Gesichts ungeschützt sind – sogenannte Mensuren. Außerdem gilt die Verbindung als "deutschnational", die Mitglieder schwören dem "deutschen Vaterland" die Treue. Und zwar auch dann, wenn sie Österreicher sind – Staatsgrenzen zählen nicht. Wir würden also einen besonders rechten unter sowieso schon rechten Burschenschaftern treffen. Als wir an der Tür des herrschaftlichen Hauses klingelten, stellte ich mir einen bulligen Typ mit Glatze und Narben vor. Stattdessen öffnete uns ein älterer Herr. Freundlicher Blick, leger sitzender Anzug. Neben ihm ein Golden Retriever, den ich am liebsten mit nach Hause genommen hätte. Es war der Vorsitzende, Dieter Derntl. Er führte uns durchs Haus und erzählte dabei, wie schwierig es heute für Burschenschaften sei, neue Mitglieder zu finden. Kein Wunder, dachte ich, während er mir und meiner Kollegin voller Stolz die Räume mit Schwertern und Abzeichen an den Wänden zeigte. Auf mich wirkte das Haus vor allem sehr verstaubt. Wer vollwertiges Mitglied im Bund werden will, muss sich starren Hierarchien unterordnen, sein Gesicht bei den Fechtkämpfen hinhalten und jede Menge bürokratische Vereinsaufgaben übernehmen. Was genau soll der Reiz daran sein, hier mitzumachen? Herr Derntl führte uns in den Keller, in dem die Mensuren gefochten werden. Vergilbte Anleitungen für Fechtkämpfe hingen an den Gewölbewänden, ein modriger Geruch erfüllte den Raum. Dort erzählte er schwärmend von den Fechtkämpfen in seiner aktiven Zeit in der Burschenschaft und wie viel er dabei für sein Leben gelernt habe. Bei der Mensur müsse man sich strikt an ein Regelwerk halten, auch in brenzligen Situationen. Die eigene Angst überwinden. "Ein bisschen, wie wenn man einen Berg besteigt", so Derrntl. Und für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, zu verstehen, wovon er spricht. Ich gehe selbst gern klettern, auch da muss man die eigene Angst vor der Höhe überwinden. Hat man die Route Meter um Meter bis nach oben erklommen, spürt man das Adrenalin im ganzen Körper. Vielleicht ist es bei der Mensur so ähnlich. Allerdings: Dafür meinen Kopf hinzuhalten und schwere Verletzungen im Gesicht zu riskieren, wäre mir dann doch zu viel. Und mein Verständnis für die Welt der Burschenschafter endete auch schnell, als Derntl erklärte, wer hier Mitglied werden darf. Frauen nämlich grundsätzlich schon mal nicht – abgesehen von wenigen Ausnahmen sind Burschenschaften reine Männerbünde. Sonst könne beitreten, wer sich mit dem "deutschen Vaterland" identifiziere. Der sogenannte Arierparagraf gelte zwar längst nicht mehr, und auch Deutsche mit Migrationshintergrund dürften angeblich Mitglieder werden, sagte Derntl. Auf den eingerahmten Fotos von Burschenschaftern an den Wänden habe ich zumindest keine Mitglieder mit sichtbarem Migrationshintergrund erkannt. Bis zum Schluss der Recherche blieben mir und meiner Kollegin ein Rätsel, welcher Reiz von den altertümlichen, erzkonservativen bis rechten Vereinen ausgehen soll. Vielleicht, dachten wir, fehlt uns als Frauen auch einfach der Zugang zu dieser Welt. Aber: Es gibt tatsächlich auch einige wenige reine Damenverbindungen in Deutschland und Österreich. Die wollen wir uns jetzt für eine unserer nächsten Podcast-Reihe anschauen – vielleicht dann ja sogar undercover. Ich bin gespannt, ob ich dann mehr verstehe. Die fünfteilige Podcastserie "Politik mit Schmiss – rechte Verbindungen in Österreich" können Sie hier  hören.