Sportswashing: In diesen Sportarten stecken Milliarden aus Saudi-Arabien

Datum27.12.2025 14:08

Quellewww.spiegel.de

TLDRSaudi-Arabien investiert über 50 Milliarden Euro in mehr als 25 Sportarten, um sein internationales Image zu verbessern und Kritik an Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Im Rahmen der "Vision 2030" soll das Land eine globale Größe im Sport und Entertainment werden. Trotz autoritärer Strukturen und gravierender Menschenrechtsprobleme, einschließlich Unterdrückung von Frauen und Minderheiten, nutzen Sportereignisse und bekannte Athleten, wie Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, ihre Reichweite für Sportswashing. Internationale Verbände fördern diese Strategie, während kritische Stimmen zunehmen.

InhaltMit mehr als 50 Milliarden Euro versucht Saudi-Arabien, sein Image aufzupolieren und erkauft sich dafür Einfluss auf mehr als 25 Sportarten. Auch wenn die Athleten für ganz andere Werte einstehen als der autoritäre Staat. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Im Wüstenstaat Saudi-Arabien gibt es keinen einzigen Fluss, die Temperaturen steigen im Sommer auf über 50 Grad an und Alkoholkonsum ist nahezu allen Einwohnern streng verboten. Und dennoch schlagen hier Golf-Stars  auf saftigem Grün ab, Ski-Freestyler springen über Rampen aus 500 Tonnen Kunstschnee und die besten Dartsspieler der Welt duellieren sich, obwohl bei Dartsturnieren sonst der ein oder andere Drink bei vielen Zuschauern dazugehört. Warum bringt die Staatsführung Athleten ins Land, deren Sportart bei ihnen keine Tradition hat? Und wo genau fließt das Geld hin? Die Initiative "Play the Game"  des Dänischen Instituts für Sportstudien setzt sich für demokratische Werte in der Sportwelt ein. Sie hat versucht, das Ausmaß saudi-arabischer Sportinvestitionen zu beziffern. Dafür durchsuchten die Mitarbeiter Webseiten saudi-arabischer Unternehmen und Organisationen, Nachrichtenmeldungen und Social-Media-Beiträge. Sie zählten 910 saudi-arabische Sponsorings seit Jahresbeginn 2024 und zeigten, welche komplexen Konstrukte die Staatsfirmen für ihre Geschäfte nutzen. Der SPIEGEL hat sich den Datensatz näher angesehen. Die in den Daten verzeichneten Investitionen umfassen mehr als 25 Sportarten. Fußball, der global populärste Sport, steht eindeutig im Mittelpunkt. Zudem steckt der Staat sein Geld besonders in traditionell männlich gelesene Sportarten wie Boxen, Motorsport und Mixed Martial Arts (MMA). Die Milliardeninvestitionen sind Teil der "Vision 2030", die den saudi-arabischen Privatsektor stärken und diversifizieren soll: Neben dem Rohstoffhandel soll Saudi-Arabien auch in Sport und Entertainment eine globale Größe werden. Die Strahlkraft der besten Rennfahrer, Tennisspieler und Kampfsportler der Welt soll zudem die düstere Menschenrechtslage in den Schatten stellen: Männer und Frauen sind in Saudi-Arabien nicht gleichberechtigt. Minderheiten werden unterdrückt. Freie Meinungsäußerung ist nicht möglich. LGBTQ+ steht im gesamten Königreich unter Strafe. Aktivistinnen und Journalisten, die auf Missstände aufmerksam machen, werden zu immensen Gefängnisstrafen sowie zum Tode verurteilt. Die Zahl der Hinrichtungen befindet sich auf dem höchsten Stand der vergangenen 30 Jahre. Das will die Staatsführung um den Kronprinzen Mohamed bin Salman wohl übertünchen. Sebastian Sons, politischer Analyst am Zentrum für angewandte Wissenschaften in Zusammenarbeit mit dem Orient in Bonn, sagte dazu dem Deutschlandfunk : "Sport wird hier als Mittel der Soft Power eingesetzt, um Saudi-Arabien als modernes und attraktives Land zu präsentieren." So solle einerseits die eigene Bevölkerung durch das Schaulaufen der Sportstars unterhalten und zufriedengestellt werden, und andererseits die internationale Kritik an Menschenrechtsverletzungen entschärft werden. Statt Berichte darüber, wie sich Salman an die Macht kämpfte und offenkundig den Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul ermorden und zerstückeln ließ, (was Saudi-Arabien dementiert), sollen also die Scheinwerfer auf Fußballfelder gerichtet werden, auf Boxringe, Reitturniere und Radrennen. Auf die besten der besten und teuersten der teuersten. Saudi-Arabien kann es sich leisten. Das nennt sich Sportswashing  : Ein autoritäres Regime bezahlt beliebte Prominente dafür, dass sie mit ihrer Anwesenheit glänzen und ihre Fans den Staatsnamen mit packenden Wettkämpfen statt mit Gewalt und Unrecht verbinden. Zum Beispiel Lionel Messi: Der Argentinier streicht Millionengagen für Tourismus-Tipps ein. Messis Accounts in sozialen Netzwerken preisen Reisen nach Saudi-Arabien an, und in einer Werbekampagne räumt er mit vermeintlich falschen Vorurteilen über das Land auf. "Nichts als Wüste", "da ist nichts los", "verschlossene Kultur"? Diese Denkmauern zerschießt Messi in einem Video per Fußball. Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung. In der Fußballbranche wurde der Gang in die Wüste lange verächtlich gemacht. Nachdem der spanische Weltmeister Xavi 2016 von Barcelona nach Katar gewechselt war, unterstellte der portugiesische Europameister Cristiano Ronaldo ihm "mangelnde Relevanz". Mittlerweile spielt Ronaldo selbst seit mehr als zwei Jahren bei einem Wüstenklub in Riad . Einen bedeutenden Titel hat er noch nicht gewonnen, aber immerhin bereits über Hundert Tore erzielt. Für den Superstar aus Madeira greift das wahhabitische Königreich besonders tief in die Tasche. 200 Millionen Euro Jahresgehalt soll Ronaldo pro Jahr erhalten, mitfinanziert durch staatliche Sponsorengelder: Sein Verein Al-Nassr gehört mehrheitlich dem Staat. Saudi-Arabien fühlte sich offenbar unter Zugzwang: In den Jahren zuvor waren Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate bei Sportsinvestments weit in Führung gegangen. Dubai ließ "Emirates" auf Shirts und Stadien setzen, Abu Dhabi machte Manchester City mit Staatsmilliarden zum Spitzenklub , Katar kaufte Paris Saint-Germain und veranstaltete eine Fußball-Weltmeisterschaft. Die Ölstaaten konkurrieren um die schönsten Bilder mit den teuersten Stars. Und um die beste wirtschaftliche Ausgangslage für die Zeit, wenn ihre fossilen Rohstoffe ausgeschöpft sind. Noch ist Saudi-Arabien größter Erdölexporteur der Welt. Doch das Land setzt alles daran, neue Einkommensquellen zu erschließen, bevor die Quellen seines Reichtums versiegen. Der saudi-arabische Staatsfond Public Investment Fonds (PIF), dem Salman vorsitzt, ist das wichtigste Vehikel für diese Mission. Unmittelbar nach seiner Gründung zu Beginn der Siebzigerjahre diente er der Finanzierung nationaler Entwicklungsprojekte, heute tätigt er auch internationale Investitionen. Mehr als ein Drittel der Sport-Sponsorendeals  geht heute auf den PIF zurück. Allerdings laufen nicht alle Sponsorings direkt über den PIF. In fast 300 Fällen ist eine Initiative oder ein Tochterunternehmen zwischengeschaltet, an denen der Fonds Anteile hält. Die Investitionen des PIF sind weit diversifiziert: Von lokalen Großbauprojekten über Unternehmen aus dem Finanz- und Gamingsektor bis zum Wintersportevent "Snow Blast KSA". Die staatliche Erdölfirma Aramco ist eine weitere wichtige Kassenstelle für Überweisungen in die Sportwelt, unter anderem im Motorsport: Seit 2021 findet ein jährlicher Formel-1-Grand Prix in Dschidda statt. Doch Aramco sponsert nicht nur die Königsklasse selbst, sondern auch zwei Nachwuchsserien und den Elektro-Racing-Ableger Formel E. Darüber hinaus ist der Ölgigant Titelsponsor des Aston-Martin-Teams. Dieser Deal soll Aramco 75 Millionen Dollar pro Jahr kosten. Die gezahlten Summen werden nur in Ausnahmefällen bekannt. 2018 etwa verpflichtete sich die Formel E zu einem jährlichen Straßenrennen in Riad. Im Gegenzug flossen 260 Millionen Dollar. Der Zehnjahresvertrag für ein Snookerturnier umfasste 33 Millionen Dollar. Und für einen Angriff auf die US-amerikanische PGA Tour und die europäische DP World Tour hat der PIF mittlerweile rund fünf Milliarden Dollar ausgegeben: für die Gründung einer eigenen Golftour, die Spieler vom Golf-Establishment weglockte. Die englische NGO "Grant Liberty" schätzt die Summe der saudi-arabischen Sportswashing-Bemühungen bis einschließlich 2023 auf mehr als 50 Milliarden Dollar. Der PIF arbeitet weiter daran, sein Portfolio zu vergrößern. Ende September 2025 kaufte der Staatsfonds zusammen mit Trump-Schwiegersohn Jared Kushner den Gaming-Giganten EA, vor allem bekannt für die FIFA-Reihe, die Formel-1-Simulationen, aber auch für den Spieleklassiker "Die Sims". Obwohl saudi-arabischen Frauen seit der Machtübernahme von Mohammed bin Salman schrittweise weitere Rechte zugestanden wurden – 2018 wurde etwa die strikte Kleiderordnung gelockert –, sind sie Amnesty International zufolge in vielen Bereichen wie Ehe, Scheidung und Erbrecht weiterhin an einen männlichen Verwandten gebunden. Die Menschenrechtsorganisation Freedom House  bewertet das Königreich Saudi-Arabien als "Nicht frei" und gibt dem Land auf ihrem Index lediglich 9 von 100 Punkten. Frauenrechtlerinnen wie Loujain Al-Hathloul sprechen sich weiterhin gegen die Missstände aus. Sie werden mit hohen Freiheitsstrafen und Reiseverboten bestraft. Immer häufiger wird die Todesstrafe verhängt, auch gegen Journalisten. Daran haben auch internationale Proteste bei zwei aufsehenerregenden Fällen nichts geändert. Vier Jahre vor dem Mord an Jamal Khashoggi wurde etwa der saudi-arabische Blogger Raif Badawi wegen liberalen Texten zu zehn Jahren Haft und eintausend Peitschenhieben verurteilt. Viele Sportteams und Verbände schreiben sich demokratische Werte und soziale Verantwortung in die Statuten. Häufig passen diese Verlautbarungen allerdings nicht zum Verhalten ihrer saudi-arabischen Geldgeber. Für die saudi-arabischen Zahlungen betreiben viele Athleten und Verbandsvertreter Verrenkungen. Das australische Frauen-Radteam "Liv AlUla Jayco" etwa trägt im Titel einerseits den Namen Liv – die Marke eines taiwanesischen Unternehmens, das damit wirbt, von Frauen für Frauen zu produzieren. Co-Namensgeberin ist die saudi-arabische "Royal Commission for AlUla", die staatliche Behörde eines Landes, in dem Frauen institutionell benachteiligt werden. Das Formel-1-Team von Aston Martin äußert sich in seinem Online-Auftritt  zu Geschlechtergleichheit und LGBTQ+: Es profitiere von einem diversen Team, "unabhängig von Alter, Geschlecht, Geschlechtsidentität, ethnischer Zugehörigkeit, sexueller Orientierung, Religion, Weltanschauung oder Behinderung". In Saudi-Arabien stehen gleichgeschlechtliche Beziehungen noch immer unter Strafe. Einen ähnlichen Spagat vollzieht Newcastle United: Die saudi-arabische Übernahme hat Fans des nordenglischen Klubs begeistert, aber es gibt auch kritische Stimmen. Ein LGBTQ+ Fanklub des Vereins äußerte einerseits öffentliche Bedenken  zum Eigentümerwechsel und andererseits die Hoffnung auf einen Wandel zu mehr Toleranz in Saudi-Arabien. Der Newcastle-Fanklub "NUFC Fans gegen Sportswashing"  bringt Hinrichtungen von Dissidenten und Journalisten in dem Land der saudi-arabischen Klubeigentümer zur Sprache. Die Premier League hat mittlerweile das Regelwerk für neue Vereinsbesitzer verschärft. Wer Menschenrechte verletze, dürfe in Zukunft keinen Klub mehr übernehmen. Die Regeländerung war eine Folge des saudi-arabischen Einstiegs in Newcastle. Abgesehen von vereinzelten Protesten haben sich jedoch die meisten Fans mit den neuen Klubchefs arrangiert – und im vergangenen März mit dem Ligapokal den ersten nationalen Titelgewinn in 70 Jahren gefeiert. Auch der Weltfußballverband Fifa und Verbandschef Gianni Infantino suchen die Nähe  des saudischen Kronprinzen Salman. Für die kommende Weltmeisterschaft in den USA, Mexiko und Kanada ist Aramco offizieller Partner der Fifa. Auch für die Frauen-WM 2027 in Brasilien zahlt der saudi-arabische Ölkonzern. Mehr als hundert Spielerinnen hatten sich in einem offenen Brief  an Gianni Infantino gewendet – mit der dringenden Bitte, die Sponsoring-Partnerschaft mit Aramco zu beenden. Infantino lehnte ab. Zwei Monate später bekam Saudi-Arabien die Fußball-WM 2034 zugesprochen. Kein anderes Einzelsportturnier bringt so viel Prestige und Bedeutung mit sich wie die Austragung einer Fußball-Weltmeisterschaft. Dafür zahlt Saudi-Arabien bereitwillig Milliarden. 2034 steht die Fußball-Weltmeisterschaft in der saudi-arabischen Wüste ins Haus, die Vorbereitungen laufen. Geplant sind 15 Stadien mit teils beeindruckender Architektur – vier sind davon bereits gebaut. Schon jetzt ähnelt das Vorhaben stark der Weltmeisterschaft in Katar. Für das Großprojekt schufteten tausende Arbeitsmigranten in der Wüstenhitze. Das katarische Organisationskomitee und die Fifa räumten 40 Todesfälle rund um die WM-Bauarbeiten ein. Von der WM in Katar blieben einerseits die Bilder von Stadien-Gigantomanie in braun-grauer Wüstenumgebung, andererseits eins der packendsten WM-Endspiele der Geschichte. Für die Pokalvergabe hüllte der Emir von Katar den triumphierenden und dann verdutzten Lionel Messi in ein traditionelles arabisches Gewand . Im größten Moment seiner Karriere wurde Messi von Katars Herrschern vereinnahmt. Während der Emir die größte aller Sportbühnen für seine Zwecke nutzen durfte, verbot die Fifa den teilnehmenden Nationen eigene politische Botschaften  auf den Kapitänsbinden und verteilte solche mit Slogans wie "No Discrimination". Collagen: Einstieg: [M] Nina Krug / DER SPIEGEL; Fotos: Maksim Konstantinov / IMAGO; Artur Widak / IMAGO; Ostseephoto / IMAGO; Evan Vucci / dpa; Valery Sharifulin / IMAGO; Con Chronis / IMAGO; Patrick T. Fallon / AFP; Öl, Macht, Kohle: [M] Nina Krug / DER SPIEGEL; Fotos: Evan Vucci / dpa; Maksim Konstantinov / IMAGO; Artur Widak / IMAGO; Drakonische Strafen und Mord: [M] Nina Krug / DER SPIEGEL; Fotos: Kenzo Tribouillard / AFP; Mohamed Al-Shaikh / AFP; Gleichberechtigung gestrichen: [M] Nina Krug / DER SPIEGEL; Fotos: Paul Currie / IMAGO; Alessio De Marco / IMAGO; Artur Widak / IMAGO