Datum27.12.2025 11:58
Quellewww.zeit.de
TLDRDer Artikel thematisiert das alarmierende Artensterben, das gravierender ist als der Klimawandel. Felix Ekardt, Professor und Leiter einer Forschungsstelle, betont, dass intakte Ökosysteme essenziell für das Menschliche Überleben sind. Während politische Maßnahmen oft unzureichend sind und landwirtschaftliche Praktiken wie Massentierhaltung den Biodiversitätsverlust fördern, nennt Ekardt die EU-Wiederherstellungsverordnung als potenziellen Fortschritt, der jedoch konkrete Ziele benötigt. Zudem argumentiert er, dass Naturschutz eng mit Klimaschutz verbunden ist.
InhaltSollten Windparks verboten werden, weil Vögel in den Windrädern sterben können? Unsinn, schreibt unser Gastautor: Die Vorteile überwiegen. Diskutieren Sie jetzt mit ihm. Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock zu Politik, Recht und Ethik der Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich seiner oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und Lesern der ZEIT. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem Artikel auf Leserkommentare. Diskutieren Sie mit! Die Klimaschutzbilanz ist düster: Erst im Sommer hat der Internationale Gerichtshof (IGH) das Pariser Klimaabkommen und die Menschenrechte so ausgelegt, dass die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden muss, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Wie aktuelle Klimadaten zeigen, haben gemessen daran die Industriestaaten ihr Klimagasbudget inzwischen aufgebraucht. Dennoch verliert das Thema mehr und mehr an Aufmerksamkeit. Noch schlechter sieht es allerdings beim Naturschutz aus. Seit der Industrialisierung hat sich das Artensterben rasant beschleunigt, der Biodiversitäts- und Ökosystemverlust ist noch deutlicher überschritten als beim Klima (PDF). Das bedroht die physischen Grundlagen jeglicher menschlichen Freiheit und damit die Menschenrechte, insbesondere die auf Leben und Gesundheit. Denn ohne intakte Ökosysteme, Bodenneubildung, funktionierende Bestäubung und funktionierende Süßwasserkreisläufe ist die menschliche Existenz perspektivisch bedroht. Naturschutz ist also kein Wohlfühlthema, das wir uns im Zuge wirtschaftlicher und geopolitischer Krisen nicht leisten können. Naturschutz ist zudem ein Wirtschaftsfaktor. Wissenschaftlich ist unstrittig, dass der Biodiversitätsverlust um ein Vielfaches teurer zu werden droht als ein wirksamer Naturschutz. Denn ohne Grundfunktionen der Natur wie Wasserreinigung oder eben Bestäubung könnte die Menschheit nicht weiterleben. Sie künstlich zu substituieren, ist teilweise gar nicht möglich – oder es ist extrem kostspielig. Wie beim Klimathema gilt: Teuer ist primär nicht die Bekämpfung des Problems, sondern seine ausbleibende Bekämpfung. Trotzdem schützen wir in der EU und in Deutschland die Natur nur bruchstückhaft. Die Politik treibt den Arten- und Ökosystemverlust sogar eher noch voran, indem sie Massentierhaltung, Pestizide und Überdüngung erlaubt und oft sogar subventioniert. Aktuell befreit die EU sogar die Bauern stärker von den ohnehin begrenzten Ökoauflagen, obwohl die bisherige Landwirtschaft ein zentraler Grund für den Biodiversitätsverlust ist. Der größte Teil der agrarischen Landnutzung dient der Produktion tierischer Nahrungsmittel, womit der Biodiversitätsverlust in weiten Teilen auf das Konto der Intensivtierhaltung geht. Das Agrarrecht erlaubt die Tierhaltung dennoch praktisch unbegrenzt, einschließlich der damit verbundenen übermäßigen Verwendung von Dünger und Pestiziden für die Futtermittel. Bislang wird die Naturzerstörung nur punktuell ausgeglichen, indem beispielsweise das Naturschutzrecht einzelne Gebiete oder Arten unter besonderen Schutz stellt. Das gilt umso mehr, als das Naturschutzrecht oft nur mangelhaft vollzogen wird und die Bundesregierung den Naturschutz aktuell noch stärker beschneiden will, etwa wenn es darum geht, Großprojekte zu beschleunigen. Dabei ließen sich solche Verfahren mit mehr Behördenpersonal und mehr Digitalisierung viel wirksamer beschleunigen. Zu begrüßen ist zwar, dass die EU im vergangenen Jahr die sogenannte Wiederherstellungsverordnung beschlossen hat. Sie soll – in der Theorie – den Biodiversitätsverlust stoppen und zerstörte Natur teilweise wiederherstellen. Die Verordnung legt dabei verbindliche Ziele für die Wiederherstellung der Natur in Land-, Küsten- und Süßwasserökosystemen bis 2030 respektive bis 2050 fest und verlangt von den Mitgliedstaaten entsprechende Konzepte. Das könnte zum ersten Mal ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung sein. Diese Art von Naturschutz wird jedoch nur funktionieren, wenn die Ziele der Verordnung deutlich konkretisiert und konsequent umgesetzt werden. Die Verordnung setzt bislang zu lange Fristen, letztlich sogar bis 2050. Zudem ist die Verordnung voll von Hintertürchen, und durch welche Maßnahmen sie umgesetzt werden soll, ist bislang völlig unklar. Am schlimmsten: Speziell die Christdemokratien in der EU und in Deutschland arbeiten seit Monaten daran, die Verordnung wieder komplett abzuschaffen. Das alles widerspricht dem Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021, nach dem die Politik nicht Probleme einseitig in die Zukunft verschieben darf. Deshalb liegt seit Ende 2024 weltweit erstmals vor einem obersten Gericht eine Klage auf eine wirksamere Naturschutzgesetzgebung beim Bundesverfassungsgericht. Sie verlangt auf der Basis der Menschenrechte, dass das Gericht den Bundestag – oder mittelbar die EU – zur Aufstellung eines umfassenden gesetzlichen Biodiversitätsschutzkonzepts verpflichtet. Vorbild ist die erfolgreiche Klimaverfassungsbeschwerde von 2018, die 2021 vor Gericht Erfolg hatte. Man könnte an dieser Stelle einwenden, dass Klima und Biodiversität doch Gegensätze seien, etwa bei der Windenergie. Immer wieder befürchten etwa Naturschützer den Vogelschlag durch Windräder. Das stimmt allerdings nur für bestimmte Standorte und bestimmte Arten. Die Schäden an der Tierwelt durch einen Windpark sind zudem weit geringer als etwa durch einen Flughafen. Außerdem ist der Klimawandel selbst eine wichtige Ursache für den Verlust der Biodiversität. Massentierhaltung schädigt etwa Klima und Biodiversität gleichermaßen. Nicht zu vergessen: Eine intakte Natur mit naturnahen Wäldern und Mooren speichert auch jede Menge Klimagase. Setzt man beispielsweise auf eine starke Begrenzung der Tierhaltung und eine konsequentere Bekämpfung des Klimawandels, gehen Natur- und Klimaschutz Hand in Hand. Ohnehin wäre es verkürzt, Naturschutz vor allem als Schutz einzelner Arten statt von Ökosystemen in der Fläche, auch in der Agrarlandschaft, zu konzipieren. Sinnvoller ist es, Schädigungsfaktoren wie Pestizide oder Tierhaltung zu begrenzen, etwa durch die Integration in den CO₂-Emissionshandel. Dies würde auch eher Akzeptanz finden, als Naturschutz allein mit Verboten und teuren Subventionen zu betreiben. Sinnlos ist dagegen die aktuell verbreitete Forderung, man müsse Tieren, Pflanzen oder Flüssen Eigenrechte losgelöst vom Menschen verleihen. Diese Rechte haben etwa südamerikanische Gerichte in Ecuador anerkannt. Dabei verändert sich die Natur ständig und ist durch eine Konkurrenz verschiedener Arten geprägt. Ohne menschliche Interessen als Maßstab wäre unklar, ob nun der Naturzustand von 1970, der von 1900, von vor dem Dreißigjährigen Krieg oder doch eher der nach der letzten Eiszeit anzustreben wäre. Deshalb ist es wichtig, Naturschutz als Menschenrecht zu begreifen.