Meinung: Die Lage am Morgen: Von der Weigerung, die Hoffnung zu verlieren

Datum27.12.2025 08:14

Quellewww.spiegel.de

TLDRDer Artikel thematisiert die aktuelle Lage in mehreren Krisenregionen: Der ukrainische Präsident Selenskyj intensiviert Diplomatien für einen Friedensplan und strebt eine Treffen mit Trump an. In Gaza boomt trotz der Zerstörung eine Hochzeitswelle, da Paare die Hoffnung auf bessere Zeiten bewahren. In Myanmar finden unter der Militärjunta Wahlen statt, jedoch ohne echte demokratische Perspektive. Der Artikel betont, dass viele Menschen trotz extremer Unsicherheit weiterhin Leben und Hoffnung suchen.

InhaltDer ukrainische Präsident Selenskyj verstärkt seine diplomatischen Bemühungen vor dem Treffen mit Trump. In Gaza boomen Hochzeiten. Und die Putschregierung in Myanmar lässt wählen. Das ist die Lage am Samstagmorgen. Heute geht es um die Bemühungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyj für einen Friedensplan, um Heiratswillige in Gaza und um die Wahlen in Myanmar unter der Putschregierung. Für die meisten von uns einigermaßen Glücklichen bedeuten Weihnachtstage ein Durchschnaufen, Entschleunigung, Urlaub, ein Rückzug ins Private. Gespräche und Zeit mit Familie und Freunden, vielleicht sogar ein Gespräch mit uns selbst. Für sehr viele Menschen etwa in Kriegs- und Krisengebieten ändern diese Tage wahrscheinlich so gut wie nichts. Die Ukrainerinnen und Ukrainer etwa werden auch in dem nun vierten Kriegswinter weiter bombardiert, daran ändert weder Weihnachten etwas noch die derzeitigen Verhandlungen. Was tut man als Präsident dieses geplagten, angegriffenen Landes? Neben vielem verbreitet man Hoffnung. In seiner Weihnachtsansprache erinnerte Wolodymyr Selenskyj daran, dass Ukrainerinnen und Ukrainer heute zusammen seien – egal, ob von Angesicht zu Angesicht oder getrennt (mehr dazu hier). Wenige Stunden zuvor hat sich der Präsident zu dem aktuellen Stand des Friedensplans geäußert (mehr dazu hier), der von den USA und der Ukraine ausgearbeitet wurde. Daran fällt auf, dass Selenskyj sich offener für die Schaffung demilitarisierter Zonen entlang der Kampflinien zeigt. Das würde mit einem Rückzug beider Konfliktparteien einhergehen, deren Einhaltung wiederum internationale Beobachter überwachen müssten. Alles Dinge, mit denen Russland nicht einverstanden ist. Das dürfte Kyjiw klar sein. Womöglich geht es vor allem um die Demonstration, dass sich die Ukrainer ernsthaft um Frieden bemühen, wie von US-Präsident Donald Trump gefordert; sogar über territoriale Konzessionen sprechen, über die die Bevölkerung in einem Referendum entscheiden müsste (mehr dazu hier). Verbunden mit seinen Bemühungen – "Wir verlieren keinen einzigen Tag" – dürfte Selenskyj eine weitere Hoffnung hegen – dass Trump die Geduld mit Moskau verliere. Immerhin: Der Ukrainer hat nun offenbar erreicht, dass der US-Präsident ihn am Sonntag in seiner Residenz in Mar-a-Lago in Florida empfängt. Es ist vielleicht einer der westlichsten Sätze, den man mit Blick auf das Leben, auf die Zukunft sagen kann: In diese grausame Welt setze ich keine Kinder! Kaum etwas steht vermutlich so sehr für den Glauben und die Hoffnung auf die Zukunft wie die Gründung einer Familie oder das Heiraten. Aber was macht man an anderen Orten der Welt, wo es kaum Aussicht auf eine stabile, verlässliche Zukunft gibt, dafür Tod und Zerstörung? Trotzdem heiraten und Kinder kriegen. Oder gerade deswegen. Es nicht zu tun ist auch keine Lösung – eben weil das Leben jederzeit enden könnte. Wie in Gaza. Darum geht es in der lesenswerten Geschichte, die meine Kolleginnen Ghada Alkurd und Juliane von Mittelstaedt recherchiert haben: Seit Beginn der aktuellen Waffenruhe Anfang Oktober gibt es einen regelrechten Heiratsboom in dem nahezu vollständig zerstörten Küstenstreifen. Vor Ort begleitete Alkurd das Paar Haitham und Maram beim Fotoshooting mit Plastikblumen und geliehenem Kleid, auf den Goldbasar in Gaza-Stadt, wo die Ringe gekauft wurden, und bei der bescheidenen Hochzeitsfeier. Auf "bessere Zeiten" zu warten, kam der 16-jährigen Braut und dem 22-jährigen Bräutigam offenbar nicht in den Sinn. Worauf auch – bis die 61 Millionen Tonnen Schutt aus Gaza abgetragen werden (mehr dazu hier  )? Bis die israelischen Truppen abgezogen und die Frage der zukünftigen Verwaltung und der Entwaffnung der Hamas geklärt sind? Womöglich wird es bald Antworten geben – am Montag trifft Israels Premier Benjamin Netanyahu US-Präsident Donald Trump. Erstmals seit dem Militärputsch in Myanmar vor bald fünf Jahren finden von morgen an Parlamentswahlen in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten südostasiatischen Land statt. Im Februar 2021 hatte die Armee die gewählte zivile Regierung unter Führung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gestürzt. Angeblich habe es Wahlbetrug gegeben. Seitdem sitzt die 80-jährige, im Land verehrte, kranke Politikerin in Haft. Ihr Aufenthaltsort wird geheim gehalten. Zuletzt appellierte ihr Sohn an die internationale Öffentlichkeit, sich für seine Mutter zu engagieren (mehr dazu hier). Gewählt wird in mehreren Runden bis Ende Januar, doch die meisten Beobachter verbinden keine großen Hoffnungen mit dieser "Wahl" – weder für die Demokratie noch dafür, dass sich die Lage für die einstige Demokratiekämpferin Suu Kyi bessert. Die Opposition ist entweder nicht zur Wahl zugelassen oder sie boykottiert sie. Worum geht es der Junta? Die Putschregierung, die sogar kurz nach dem verheerenden Erdbeben Ende März Luftangriffe fliegen ließ (mehr dazu hier), will demonstrieren, dass sie zur vermeintlich verfassungsmäßigen Ordnung zurückkehrt, sagt mein Kollege Georg Fahrion, der zuletzt ein lesenswertes, persönliches Stück über Myanmar geschrieben hat. Es geht der Junta unter Armeechef Min Aung Hlaing darum, die internationale Isolation zu beenden und sagen zu können: Seht hier, wir haben sogar Wahlen zugelassen. Es darf bezweifelt werden, ob das sehr durchschaubare Manöver verfängt. Noch mehr Rätsel wie Viererkette, Wordle und Paarsuche finden Sie bei SPIEGEL Games. … ist erneut das PR-Team des designierten New Yorker Bürgermeisters Zohran Mamdani. Vor wenigen Tagen brachte es ein Video in Umlauf, das Mamdanis Besuch beim jüdisch-amerikanischen Schauspieler Mandy Patinkin zum jüdischen Chanukka-Fest zeigte. Viele Jüdinnen und Juden in New York, so die größte Community außerhalb Israels lebt, sehen den Muslim Mamdani als Gefahr (mehr dazu hier ). Vor allem in der Vergangenheit fiel Mamdani mit antizionistischen Positionen auf. Andere wiederum feiern ihn als Ausnahmepolitiker und gaben ihm seine Stimme bei der Bürgermeisterwahl Anfang November (ein Porträt von Mamdani lesen Sie hier ). Unterstützung bekam Mamdani von einigen Prominenten wie eben Schauspieler Patinkin, bekannt als CIA-Mann Saul Berenson in der Serie "Homeland". Bekannt ist Patinkin auch als scharfer Kritiker der israelischen Regierung von Benjamin Netanyahu, des Krieges in Gaza und von US-Präsident Donald Trump. Patinkin fühlt sich dem Staat Israel tief verbunden, wie er mehrfach öffentlich sagte. Dennoch segnete er, wie im Video zu sehen ist, Mamdanis Wahl, während dieser beim Anzünden des Chanukka-Leuchters zu sehen ist. Die beiden tauschen warme Blicke aus, kochen Latkes nach dem Rezept von Patinkins Mutter. Was lehrt uns das? Die Nüchternen würden sagen: Professionelle PR wirkt. Die Hoffnungsvollen würden sagen: Trotz Streit und unterschiedlicher, mitunter unversöhnlicher Positionen kann man den Menschen sehen, wenn man nur will. Das ist kein Roman, sondern passiert vor Europas Küste. Warum? Unser Reporter hat auf dem Meer nach Antworten gesucht . Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag, kommen Sie zuversichtlich ins neue Jahr. Ihre Özlem Topçu, Leiterin des SPIEGEL-Auslandsressorts