Stadtbild-Debatte: Kriminalität ist kein Importproblem

Datum26.12.2025 09:59

Quellewww.zeit.de

TLDRDer Artikel thematisiert die Stadtbild-Debatte in Deutschland und kritisiert, dass Kriminalität oft fälschlicherweise als Importproblem wahrgenommen wird. Stattdessen sei sie ein soziales Phänomen, das aus Armut, fehlender Integration und ungleichen Chancen resultiere. Bildung und soziale Teilhabe sind entscheidend für die Kriminalitätsrate, nicht die Herkunft. Zudem wird auf die hohe Gewaltbereitschaft im häuslichen Umfeld eingegangen, die oft aus der öffentlichen Debatte ausgeblendet wird. Sicherheit sollte daher auch Schutz und Unterstützung für Frauen und Kinder umfassen.

InhaltDie Sicherheitsdebatte konzentriert sich zu sehr auf Symptome und Sichtbares. Wer Kriminalität und ihre Mechanismen versteht, muss tiefer blicken. Drastisch tiefer Erinnern Sie sich noch an die Stadtbild-Debatte, die Deutschland in diesem Jahr lange beschäftigt hat? Sie ist zwar verhallt. Doch sie zeigte, wie nachhaltig Narrative wirken können, selbst wenn sie auf falschen Zuschreibungen beruhen. Komplexe soziale Fragen werden allzu schnell auf sichtbare Gruppen reduziert. Dabei geht es bei Sicherheit vor allem um die tieferliegenden Ursachen und nicht um oberflächliche Eindrücke. Kriminalität hängt nicht von der Herkunft, sondern von sozialen Bedingungen ab. Wer Statistiken liest, statt Vorurteile zu pflegen, erkennt: Kriminalität wird nicht importiert, sie ist ein soziales Phänomen. Menschen, die in Armut und ohne soziale Einbindung leben, begehen häufiger Straftaten – unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe. Entscheidend sind Bildung, Einkommen und gesellschaftliche Teilhabe, nicht der Pass. Meine DIW-Kollegin Anna Bindler weist in ihrer Analyse zur sogenannten Stadtbild-Debatte darauf hin, dass einfache Zuschreibungen irreführen. In den Städten, in denen mehr Zugewanderte leben, ist die Kriminalitätsrate nicht automatisch höher. Vielmehr spielt die soziale Struktur eine Rolle. Kriminalität konzentriert sich dort, wo Perspektivlosigkeit herrscht, wo Integration nicht gelingt und wo der Staat zu selten präsent ist – mit Schulen, Sozialarbeit und bezahlbarem Wohnraum. Es liegt also nicht an "männlichen Migranten im Stadtbild", sondern mangelnder sozialer Integration und ungleichen Chancen. Die Forschung zeigt klar: Mit erfolgreicher Bildung, stabilen Arbeitsverhältnissen und gesellschaftlicher Akzeptanz sinkt das Risiko von Kriminalität drastisch. Pauschale Schuldzuweisungen hingegen erschweren Integration und schüren Misstrauen – sie schwächen damit genau das, was sie zu schützen vorgeben: die innere Sicherheit. Wer Sicherheit ernst meint, muss sich auch die Zahlen zur Gewalt gegen Frauen ansehen. Laut Bundeskriminalamt wird in Deutschland jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Die überwältigende Mehrheit dieser Taten geschieht nicht auf der Straße, sondern im häuslichen Umfeld – durch Partner, Ex-Partner oder Familienmitglieder. Diese Realität verschwindet in der öffentlichen Debatte oft hinter dem Bild der "unsicheren Innenstadt". Doch die größte Bedrohung für die Sicherheit von Frauen sitzt häufig am Küchentisch, nicht auf der Parkbank. Im Jahr 2023 gab es in Deutschland Femizide, die meisten Opfer durch ihre Partner oder Ex-Partner. Gewalt gegen Frauen kostet diese schlimmstenfalls das Leben, den Staat jedes Jahr geschätzt 54 Milliarden Euro – an Gesundheitskosten, Produktivitätsverlusten und gesellschaftlichen Folgeschäden. Sicherheit bedeutet, Frauen und Kinder zu schützen, ihnen Zugang zu Beratung, Schutzräumen und rechtlicher Unterstützung zu geben. Sie bedeutet, Gewalt zu verhindern, bevor sie geschieht – durch Bildung, Prävention und eine Kultur, die Gewalt nicht verharmlost.