»More«-Gründer Christian Wolf: Diät-Guru mit beschränkter Haftung

Datum03.05.2025 11:53

Quellewww.spiegel.de

TLDRChristian Wolf, Gründer des erfolgreichen Diätunternehmens "More Nutrition", hat mit seinen Abnehmprodukten ein Geschäft im Wert von 800 Millionen Euro aufgebaut und prognostiziert weiteres Wachstum im Nahrungsergänzungsmittelmarkt. Obwohl er über 1,1 Millionen Follower auf Instagram hat und behauptet, vielen beim Abnehmen geholfen zu haben, gibt es Bedenken bezüglich der Wirksamkeit seiner Produkte und der möglichen Förderung von Essstörungen. Experten warnen, dass Wolfs Ansätze bei Betroffenen von Binge-Eating-Störungen kontraproduktiv sein könnten.

InhaltDer Influencer Christian Wolf hat mit Abnehmprodukten ein Hunderte Millionen Euro schweres Unternehmen aufgebaut. Seine Kunden vertrauen auf seinen Rat. Und genau das kann ein Problem sein. Anfang April pilgern über 150.000 Menschen, oft in Kapuzenpulli oder Sportleggings, in die Hallen der Kölnmesse. Es ist Fibo, die größte Fitnessmesse Deutschlands. Vor Halle 2.1 stehen die Besucher am Sonntag fast zwei Stunden Schlange. Sie wollen unbedingt zum größten Aussteller: "More Nutrition". Wer es hineingeschafft hat, kann aus pinkfarbenen Pappbechern Eiskaffee mit Proteinpulver trinken oder Geschmackspulver in Joghurt einrühren. Es gibt Sorten wie "Vanilla Perfection" oder "Dark Cookie Crumble". Vor einer Bühne recken Hunderte ihre Arme in die Höhe, sobald das "More"-Team Produkte wie beim Karneval in die Menge wirft. 80 Jahre nach Hitler Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg, die Alliierten hatten das Naziregime besiegt. Doch die Vergangenheit – Nationalsozialismus, Vernichtungskrieg, Holocaust – wirkt in die Gegenwart hinein. Auch in Familien. Mehr als sich die meisten Deutschen eingestehen wollen. Lesen Sie unsere Titelgeschichte, weitere Hintergründe und Analysen im digitalen SPIEGEL. Die Produkte haben Namen wie "Satisbites" oder "Zerup", "Clear Protein" und "Chunky Flavour". Sie bestehen hauptsächlich aus Süßungsmitteln, Aromen und Proteinpulver. Und sollen – laut "More"-Gründer Christian Wolf – so etwas wie der Schlüssel zu einem gesunden und schlanken Leben sein. Wolf ist 29 Jahre alt und nach eigenen Angaben "Deutschlands Nr.1 Creator für Fettverlust". Allein auf Instagram folgen ihm aktuell 1,1 Millionen Accounts. Er gibt dort an, mehr als 700.000 Menschen beim Abnehmen geholfen zu haben. Sein Diätratgeber "Der Protein-Fasten-Trick" ist ein Bestseller. Er sagt: "Für mich war Abnehmen jahrelang das größte Problem meines Lebens. Ich habe meinen Körper gehasst. Heute habe ich zum Glück meine Produkte." Im Jahr 2017, da war er gerade 22 Jahre alt, hat er "More" gegründet. Mittlerweile erzielt der Konzern, der um die Marke aufgebaut wurde, laut eigenen Angaben rund 800 Millionen Euro Umsatz im Jahr. Wolf hat einen der wohl unerschöpflichsten Märkte der Welt für sich erschlossen: die Diät- und Ernährungsbranche. Eine Branche, die sich von den Selbstzweifeln der Menschen nährt, von Schönheitsidealen, von fragwürdigen Körpernormen. Und von einem real existierenden Problem: dem zunehmenden Übergewicht der Deutschen. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel wächst. Experten schätzen, dass in diesem Jahr weltweit 413 Milliarden US-Dollar dafür ausgegeben werden. Bis 2030 sollen es 579 Milliarden Dollar sein. Allein in Deutschland werden pro Jahr rund 200.000 Tonnen an Pillen und Pülverchen hergestellt. Das Besondere an "More": Das Unternehmen bietet nicht nur Ergänzungsmittel an, sondern beinahe die komplette Ernährungspalette: Drinks, Kaffee, Snacks, Pizza – überall will sich "More" mit einer Alternative durchsetzen. Wolfs Erfolg ist typisch für die Influencerszene. Er pflegt eine Nähe zu seinen Kunden, die kein Konzern der Welt erzeugen kann, weil er glaubhaft über jene Probleme berichtet, die seine Käufer auch haben. Zugleich zeigt seine Geschichte, wie problematisch es sein kann, wenn einer die eigene Betroffenheit erst zum Thema und dann zum Geschäft macht. Ein Fünfsternehotel am Kölner Dom, am Abend vor der Eröffnung der Fibo. Wolf kommt eine halbe Stunde zu früh zum Interviewtermin. Er trägt ein muskelenges T-Shirt und eine weite Pluderhose, er lächelt selbstsicher. Auf den Fingerknöcheln seiner linken Hand steht "More" in Tinte unter der Haut. Um den Oberarm spannt sich ein Band, das seine Vitalwerte misst. Am Handgelenk trägt er eine Rolex Daytona in Roségold. Die Haut braun gebrannt. Christian Wolf Normalerweise habe er "Zerups" dabei, sagt Wolf, zuckerfreie farbige Sirups, die man sich in Wasser mischen kann, die gibt es in Geschmacksrichtungen wie Mojito oder Capri Orange. Er habe die jedoch auf dem Hinflug nach Köln an die Flugbegleiter verschenkt. "Auf die sind alle scharf", sagt er. Sowieso verschenke er die andauernd, wohin er auch gehe. Man muss nicht lange suchen, um zu verstehen, warum ausgerechnet Wolf mit seinen Pülverchen und Sößchen zum Millionengründer wurde. Er liefert seinen Fans alles, was einen modernen Mythos ausmacht. Vom Außenseiter zum Superstar. Schließlich, berichtet er gern, sei er nicht immer der gut gebräunte und noch besser trainierte Erfolgsmensch gewesen. Seit Jahren erzählt er die Geschichte des traurigen, uncoolen Jungen, der nichts lieber wollte als schlank sein. Dieser Teil seiner Biografie ist wichtig, weil sie seine Du-kannst-es-auch-schaffen-Philosophie belegt. Manchmal klingt das übertrieben, etwa auf einem Post auf der Karriereplattform LinkedIn. Da liest es sich, als habe Wolf als Kind zig Kilo Übergewicht gehabt. Fragt man nach, heißt es, der Beitrag sei von einer Agentur verfasst und stimme so nicht. Ob er tatsächlich stark übergewichtig war oder sich nur so fühlte – schwer zu sagen. Wolf sagt: "Ich wurde früher gemobbt. Ich war unzufrieden. Ich bin lange gescheitert, abzunehmen. Heute mache ich es anders und mit meiner Methode. Jetzt geht es mir insgesamt viel besser. Das sind die Fakten von meinem Leben." Mit 15 Jahren sei er in einer Facebook-Gruppe auf die Nutrition- und Fitnessstars der USA gestoßen und habe angefangen, sich für Sport und Ernährung zu begeistern. Mit 22 Jahren legte er mithilfe seines Vaters, einem ehemaligen Berater bei McKinsey, den Grundstein für "More Nutrition". Seitdem habe er nicht nur erfolgreich die Firma aufgebaut, sondern auch eine eigene Abnehmmethode entwickelt. "Mein Sixpack bedeutet für mich Selbstwirksamkeit", sagt Wolf. Er habe sich damit bewiesen, dass er alles schaffen kann. "Hätte mir früher einer gesagt, dass ich einmal einer der reichweitenstärksten Ernährungs-Creators Deutschlands werden würde, hätte ich ihm den Vogel gezeigt." Doch genau das scheint er geschafft zu haben. Etwa 1,8 Millionen Follower hat er derzeit zusammen auf TikTok und Instagram. Sie folgen ihm, hören ihm zu –  fragen ihn um Rat. Die Fragen, die Wolf erreichen, zeigen, wie groß das Bedürfnis nach Ernährungstipps ist. Und wie groß das Unwissen. Wolf sagt: "Die Themen, die ich anspreche, haben eine gesundheitliche Relevanz." Am liebsten, sagt er, würde er das gesellschaftliche Problem der Adipositas lösen. "Womit ich mich heute beschäftige, das sind ja wirklich Leute, die oftmals 120, 130, 140 Kilo wiegen." Sind sie bei ihm an der richtigen Adresse? Angesprochen auf seine Expertise, sagt Wolf: "Ich habe zwar nicht Lebensmittelchemie studiert, aber ich habe mich in den letzten Jahren viel mit der Datenlage beschäftigt. Ich bin nicht nur der Typ mit dem Hals-Tattoo." Er habe mal angefangen, Medizin, Pharmazie und BWL zu studieren, aber alle drei Studiengänge abgebrochen. Sein Wissen über Ernährung habe er zunächst aus einer Facebook-Gruppe bezogen und sich dann mit Experten ausgetauscht. "Ich bin einfach jemand, der Glück hat, dass er schlaue Eltern hat, und der sich gerne mit dem Thema Ernährung und Abnehmen beschäftigt", sagt Wolf. "Und einer mit großem Mitteilungsbedürfnis." Wenn Leute, die abnehmen wollen, sich vom Autodidakten Wolf ein paar Tipps holen, mag das unproblematisch sein. Aber was geschieht, wenn er bei Menschen Hoffnungen weckt, deren Probleme tiefer liegen? Katrin Giel ist eine der führenden deutschen Wissenschaftlerinnen rund um Ess- und Gewichtsstörungen. Sie lehrt Translationale Psychotherapieforschung an der Medizinischen Fakultät am Universitätsklinikum Tübingen und ist Forschungsleiterin der Abteilung Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Es werde immer häufiger, dass Menschen nicht einfach ein paar Pfunde zu viel hätten, sondern dahinter auch ein gestörtes Essverhalten stecke. "Es gibt die sogenannte Binge-Eating-Störung", sagt sie. Eine Essstörung, die sich vor allem durch unkontrollierte Essanfälle auszeichnet. "Es scheint eine enge Verbindung zwischen Adipositas und Binge Eating zu geben", sagt Giel. "Eine erhebliche Gruppe an Menschen in Adipositas-Behandlung hat wohl auch diese Essstörung." Giel sagt, dass diese Form der Essstörung und Übergewicht generell stigmatisiert werde. Betroffenen mit einer Essstörung rate sie in der Regel zu einer Psychotherapie. Die Nutzung von Mitteln wie "More Nutrition" dagegen empfehle sie nicht. Essstörungen sind kein On-off-Phänomen, sie entwickeln sich schleichend. Laut einer aktuellen Befragung haben etwa 35 Prozent der Frauen in Deutschland ein auffälliges Essverhalten und jeder vierte Mann. Bei den unter 20-jährigen Frauen stieg der Anteil in den vergangenen Jahren um knapp zehn Prozentpunkte. Wolf sagt: "Ich kenne diesen ganzen Mist." Auch er habe in der Vergangenheit unter Binge-Eating gelitten. "Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man schon morgens ein paar Tausend Kalorien gegessen hat, dann alle Brötchen wegwirft, nur um sie später wieder aus dem Müll zu holen und aufzuessen." In seinem Diätratgeber "Der Protein-Fasten-Trick" schreibt er darüber: "Wenn ich heute auf diese Zeit zurückblicke, weiß ich, dass einer der Gründe für meine ständigen Gewichtsprobleme meine eigene Uninformiertheit war." Er beschreibt die Essstörungen in einem Kapitel, bevor er auf den Erfolg mit seiner Diät zu sprechen kommt. Wer das Buch von Wolf liest, der muss fast zu dem Schluss kommen, sein Proteinfasten könne ein Weg aus der Essstörung sein. Auf Instagram teilt er die Geschichte seiner Freundin Romina, die ebenfalls eine Essstörung gehabt und diese erst durch Wolfs Ratschläge überwunden habe. In einem Video präsentiert er eine "More"-Nutzerin, die sagt, mit seiner Hilfe habe sie ihre Anorexie hinter sich gelassen. Der SPIEGEL hat mehrere psychosomatische Kliniken angefragt, ob die "More"-Produkte gegen Binge-Eating helfen können, wie das Unternehmen zu suggerieren scheint. Die Antworten sind eindeutig: In der Therapie eingesetzt werden entsprechende Produkte nicht, sie sind in der Regel sogar verboten. "Die Nutzung solcher Produkte ist bei uns nicht gestattet", sagt etwa Karin Lachenmeir, die Leiterin des Therapie-Centrum für Essstörungen des Klinikums Dritter Orden München-Nymphenburg. Vor dem Hintergrund einer Essstörung seien sie nicht zu empfehlen, "da sie den Fokus zu sehr auf symptomatische Aspekte des Ernährungsverhaltens lenken". "More Nutrition" scheint das zunächst anders zu sehen. Fragt man den Chatbot von "More", ob die Produkte für jemanden mit Binge Eating geeignet sind, so erhielt man bis vor Kurzem nicht etwa einen warnenden Hinweis darauf, sich bei einer Essstörung Hilfe zu suchen, sondern eine dezidierte Produktberatung. Die Antwort: "More Nutrition bietet Produkte wie ›Light Foods‹, die helfen, Kalorien zu sparen und Heißhungerattacken zu vermeiden, was bei Binge Eating nützlich sein kann. Auch ›Crave No More‹ ist ein veganes Produkt, das helfen könnte, Heißhunger zu kontrollieren. Diese Produkte unterstützen eine ausgewogene Ernährung ohne Verzicht auf Genuss." Nachdem der SPIEGEL eine Anfrage dazu an das Unternehmen verschickt hat, lässt es den Bot anders antworten. Er empfiehlt auf die Frage nun, sich medizinischen Rat zu suchen – "Pass auf dich auf." Eine Sprecherin des Unternehmens sagt: "Essstörungen sind eine ernstzunehmende Erkrankung, und unser größtes Mitgefühl gilt allen Betroffenen. Wir werden künftig in sensiblen Bereichen wie diesem keine Produktempfehlungen mehr aussprechen. Unsere Produkte richten sich bewusst an gesunde Menschen, die ihre Ernährung verbessern wollen – nicht an Personen, die sich in therapeutischer Behandlung befinden." Gefragt, ob Christian Wolf glaube, dass die Produkte von "More" für Essgestörte geeignet seien, gibt er sich als Diät-Guru mit beschränkter Haftung: "Sie sind nicht die alleinige Lösung. Aber sie können ein Baustein auf dem Weg der Genesung sein." Ein Dorf in der Oberpfalz, im April 2025. In einer Einzimmerwohnung lebt Katrin Schüßlbauer. Unter ihrem Schreibtisch steht ein kleines Laufband, ein sogenanntes Walking Pad. Vor dem Waschbecken in ihrem Badezimmer steht eine digitale Personenwaage. Schüßlbauer ist 28 Jahre alt, Studentin, und wog mal 150 Kilogramm. Mittlerweile hat sie über 65 Kilo abgenommen. Sie passt genau in die Zielgruppe von "More Nutrition". Wie Wolf war sie bereits als Kind übergewichtig. Und wie die meisten "More"-Kunden ist sie eine, die am liebsten noch ein bisschen abnehmen möchte. Katrin Schüßlbauer, Studentin Im Sommer 2023 entdeckte sie auf Instagram immer mehr Werbung von "More", so erzählt sie das. Es seien vor allem Influencerinnen gewesen, die ihr versprachen, mit den Produkten einfach und genussvoll abnehmen zu können, ohne Verzicht. Wolfs Unternehmen hat die Methode Influencer-Marketing perfektioniert und eine Armada von großen und kleinen Influencer-Konten macht Werbung für "More"-Shakes. "Ich hatte total die Hoffnung, dass das klappt", sagt Schüßlbauer. Am 9. Juli 2023 bestellt sie für 91,28 Euro im Onlineshop von "More Nutrition". Zwei Wochen später wieder, für 116,87 Euro. Ein Jahr lang bestellt sie wieder und wieder. Insgesamt knapp 700 Euro gibt sie für Light-Soßen, Getränkesirups, Proteinpulver und kalorienreduzierte Chips aus. Für sie als Studentin sei das viel Geld gewesen. "Das klingt halt alles so vielversprechend", sagt sie. "Abnehmen ohne Verzicht. Und die ›More‹-Influencer suggerieren einem die ganze Zeit: Bei den anderen klappt es auch." Abgenommen habe sie in diesen Monaten nicht, sagt sie. Mehr noch: Während der Zeit, in der sie die "More"-Produkte nutzte, litt sie laut eigenen Aussagen extrem unter Essanfällen. Schüßlbauer hat eine diagnostizierte Binge-Eating-Störung. Ihr zuweilen starkes Übergewicht lag auch an den unkontrollierten Essattacken. Die Ersatzprodukte von "More" hätten die Anfälle erst recht getriggert, sagt sie. Jede Diät löse das bei ihr aus. Auch wenn Wolf etwas anderes nahelegt: Studien zeigen, dass restriktives Essverhalten ein zentraler Risikofaktor für das Auftreten und Verstärken von Essanfällen ist. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen berichtet, dass sie "von Verbraucher:innen immer wieder Beschwerden zu Christian Wolf und ›More Nutrition‹" bekomme. Bereits 2024 hat die Organisation ein Urteil wegen irreführender Werbung für eine Protein-Brownie-Backmischung gegen "More" erstritten. Weitere rechtliche Schritte seien aktuell nicht geplant – einfach nur, weil es so viele Beschwerden gegen andere Unternehmen gebe. Man behalte sich weitere rechtliche Schritte vor, heißt es von einer Rechtsanwältin der Organisation. "Da wir bei ›More Nutrition‹ weiterhin häufig Werbung mit Gesundheitsbezug sehen, die wir für unzulässig halten." "Im betreffenden Instagram-Post fehlte lediglich die Wiederholung eines bereits auf dem Produkt selbst und der Produktseite klar angegebenen Vergleichs", sagt eine Sprecherin für "More" zum Urteil. Selbstverständlich berücksichtige man gerichtliche Hinweise und passe formale Details an, wenn erforderlich. Weitere Beschwerden oder Fälle unzulässiger Werbung seien dem Unternehmen nicht bekannt, man würde einen "produktiven Austausch" begrüßen. In Europa gibt es Regeln, welche gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel erlaubt ist. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch beobachtet seit Jahren, dass im Netz gegen diese sogenannte "Health-Claims-Verordnung" der EU verstoßen wird. Dario Sarmadi von Foodwatch sieht bei Ernährungstipps von Influencern ein "Vollzugsdefizit". "Bei jeder Lebensmittelverpackung wird von den Behörden hierzulande strenger kontrolliert als bei den Social-Media-Postings, ob darauf falsche oder überzogene Werbeaussagen stehen." Man sehe grundsätzlich, dass Influencer "wissenschaftlich kaum fundierte Gesundheitsversprechen mit ihren Produkten machen und dabei gegen geltendes EU-Recht verstoßen". Das treffe auch auf Abnehmversprechen der Marke "More Nutrition zu", sagt Sarmadi. "More" sagt zu den Vorwürfen der Verbraucherschützer: "Aufgrund der Vielzahl an Content-Creatorn, die jeden Tag aus Leidenschaft Inhalte rund um ›More‹ kreieren, können wir uns nicht zu einzelnen Statements aus Videos äußern, die erhoben worden sein könnten oder auch nicht." Grundsätzlich sei es ihnen wichtig, ordnungsgemäß vorzugehen, auch wenn die Wissenschaft sich schneller entwickelt als die Health Claims-Verordnung, jene EU-Rechtsverordnung, die regelt, wie weit gesundheitsbezogene Werbung gehen darf. "More"-Gründer Christian Wolf reagiert auf Kritik im Netz zuweilen weniger diplomatisch, sogar empfindlich. Er kann dann ungemütlich werden. Auf einen Kommentar, in dem eine Instagram-Nutzerin ihm kürzlich vorwarf, seine Produkte würden Essstörungen fördern, antwortete er, dass man merke, die Nutzerin könne nicht von der Wand bis zur Tapete denken. Dass er schon Hunderttausenden geholfen habe, gesünder zu werden. "Auch wenn deine fühli fühlis vielleicht anders sind". Sanaz Saleh-Ebrahimi, freie Journalistin Eine andere Nutzerin beschimpfte er: "Manchmal fragt man sich: Ist bei ihr jemand zu Hause? Bei so viel Dummheit". Wolf sagt dazu: "Ich bin an einem offenen, inhaltlichen Diskurs interessiert." Seiner Ansicht nach würden Accounts auch ihn angreifen – um von seiner Reichweite zu profitieren. Die öffentlichen Scharmützel münden teils in rechtliche Auseinandersetzungen. Dem SPIEGEL liegen mehrere juristische Schreiben vor, die diverse Kleinkriege von Wolf gegen Journalisten oder Content Creator belegen. Anfang des Jahres lieferte er sich einen juristischen Schlagabtausch mit der freien Wissenschaftsjournalistin Sanaz Saleh-Ebrahimi. Sie hatte für "Zeit Online" darüber geschrieben, dass Sucralose Studien zufolge beim Erhitzen über 120 Grad möglicherweise krebserregend ist. Sucralose ist eines der Süßungsmittel, auf die "More" setzt. Man solle es zum Backen verwenden, wird auf deren Website geworben, das sei unbedenklich. Wolf sah womöglich einen Teil seines Business gefährdet. Er veröffentlichte jedenfalls ein Video, in dem er über eine mögliche Verschwörung der Zuckerlobby gegen ihn sprach – und spekulierte, ob Saleh-Ebrahimis Kritik an "More" etwas damit zu tun haben könne. "Wolf wollte mich einschüchtern und meine Glaubwürdigkeit infrage stellen", sagt die Journalistin. Wolf sagt: "Ich habe nie sagen wollen, dass Frau Saleh-Ebrahimi von der Zuckerlobby beauftragt wurde." Es sei seiner Ansicht nach wissenschaftlich umstritten, was die Journalistin schreibt. Christian Wolf profitiert von derlei Aufregern. Wenn es um das Thema Adipositas geht, könnten Kontroversen ihm und anderen auch Reichweite verschaffen, sagt er. Es gebe diverse "More"-Kunden, die dadurch erst auf die Produkte aufmerksam würden. "Die sagen mir: Hey, ich bin durch einen Streit auf dich gestoßen. Ich fand dich eigentlich voll doof, aber deine Diät fand ich dann interessant und habe sie probiert", sagt Wolf. "Und – whoopdifuckingdu – es hat funktioniert." Mit "More Nutrition" hat Wolf eine der erfolgreichsten deutschen Marken der Branche gebaut. Wie sehr er finanziell davon profitiert, wenn das Business von "More" boomt – darüber redet er nicht so gern. Offiziell arbeitet er nicht mehr im Tagesgeschäft. Einen Teil seiner Anteile an "The Quality Group", dem Unternehmen hinter "More", verkaufte er 2022 an den großen europäischen Finanzinvestor CVC, der heute die Mehrheit an der Firma hält. Er konzentriere sich heute auf das, was ihm Spaß mache. Aufmerksam wurden die Redakteure Vicky Bargel und Max Hoppenstedt (M.) auf den Influencer Christian Wolf bereits vor Monaten durch eine öffentliche Auseinandersetzung mit einer freien Journalistin. Wolf ist Gründer von "More Nutrition", einer Marke, die unter anderem Zuckerersatzprodukte und Proteinpulver für Shakes herstellt. Die Journalistin hatte kritisch über Produkte von "More" berichtet. Auch beim Treffen mit dem SPIEGEL in einem Kölner Hotel scheute Wolf den Konflikt nicht, er schien Freude an der Auseinandersetzung zu finden. "Als wir uns voneinander verabschiedeten, sagte Wolf zu uns, er bedauere, dass das Interview nicht gefilmt wurde", sagt Hoppenstedt. Das gut zwei Stunden lange Gespräch hätte seiner Ansicht nach einen hübschen Video-Podcast hergegeben. "Ein Stück weit offenbart das Wolfs Verständnis von gutem Content: Hauptsache, Provokation", sagt Bargel. Handelsregisterauszüge zeigen, dass Christian Wolf an einer komplexen, luxemburgischen Firmenstruktur beteiligt ist, die hinter "The Quality Group" steht. Sie ist im Wesentlichen mit dem Einstieg von CVC entstanden. Wie groß die Anteile sind, will Wolf nicht sagen. Er behauptet sogar, es nicht genau zu wissen. "Generell beschäftige ich mich wenig mit Finanzen." Den Verkauf an CVC habe damals sein Vater für ihn verhandelt. "Ich habe noch nie eine Rechnung geschrieben, eine Banküberweisung getätigt oder eine Steuererklärung gemacht. Ich habe nicht mal Online-Banking", sagt Wolf. Nur so viel will er übers Geschäftliche sagen: Schon heute könne er für den Rest seines Lebens von Dividenden leben und all seine Freunde, ohne darüber nachzudenken, auf Reisen und Essen einladen. "Wenn wir irgendwann einen Börsengang machen oder CVC das Unternehmen verkauft, dann wird dabei hoffentlich noch etwas für mich abfallen." Mitarbeit: Marvin Milatz und Friederike Röhreke. Anmerkung: In einer vorherigen Version hieß es, dass auffälliges Essverhalten bei unter 20-jährigen Frauen um knapp zehn Prozent zunahm. Tatsächlich stieg der Anteil um knapp zehn Prozentpunkte. Wir haben den Fehler korrigiert.