Datum23.12.2025 06:00
Quellewww.zeit.de
TLDRDer Hebammenverband Schleswig-Holstein fordert eine frauenzentrierte Geburtshilfe, die mehr Zeit und weniger Bürokratie erfordert. Vorsitzende Anke Bertram betont, dass Frauen ihre Intuition zurückgewinnen sollten, während die Kaiserschnittrate alarmierend hoch ist. Ein neuer Hebammenhilfevertrag, der im November in Kraft trat, bringt bürokratische Hürden und möglicherweise Einkommenseinbußen, was die Situation der Hebammen erschwert und einen drohenden Mangel an Unterstützung befürchten lässt. Die gute Arbeit der Hebammen müsse anerkannt und gefördert werden.
InhaltHier finden Sie Informationen zu dem Thema „Begleitung bei Schwangerschaft“. Lesen Sie jetzt „Hebammenverband: Eine Geburt braucht Zeit, nicht Bürokratie“. Schleswig-Holsteins Hebammenverband fordert eine bedarfsgerechte und frauzentrierte Geburtshilfe. "Das heißt, dass die Frau im Mittelpunkt steht, denn wenn es der gut geht, geht es in der Regel auch ihrem Kind gut", sagte die Vorsitzende des Landesverbandes, Anke Bertram, der Deutschen Presse-Agentur. Frauen werde generell die Fähigkeit abgesprochen, gebären zu können und auf ihr Bauchgefühl zu hören, erklärte Bertram. "Durch die zahlreichen Untersuchungen und ständigen Ultraschallmessungen geht das immer mehr verloren." Frauen müsse ihre Intuition zurückgebracht werden - sie könnten in der Regel am genauesten erklären, wie es ihnen und ihren Kindern gehe. Daher wünsche sich die Landesvorsitzende einen "Paradigmenwechsel". Hebammen bräuchten nicht nur eine angemessene Bezahlung, sondern es brauche auch ein neues Verständnis für die besondere Rolle der Geburtshilfe. "Wir sind keine Pflege, weil wir es in der Regel mit gesunden Frauen und Kindern zu tun haben", betonte Bertram. Hebammen arbeiteten eigenständig und begleiteten Frauen fachkundig – vom ersten Kinderwunsch bis zum Ende der Stillzeit. So brauche es etwa Förderprogramme für die natürliche Geburt. "Da müssen wir Anreize schaffen und auch anders aufklären", sagte Bertram. Stattdessen sei die Kaiserschnittrate in Schleswig-Holstein und ganz Deutschland sehr hoch. Eine Geburt erfordere Zeit, die heute oft fehle. "Dann greift man ein, leitet die Geburt ein, und am Ende folgt fast zwangsläufig ein Kaiserschnitt." Das wirke sich auf die Gesundheit und Psyche der Frauen aus. Jahre später litten viele unter Verwachsungen oder sogar Bandscheibenvorfällen. Häufig stehe jedoch nur das Kind im Mittelpunkt – die Frau bleibe außen vor. Überdies würden Hebammen aus Sicht der Landesvorsitzenden in ihrer Berufsausübung eingeschränkt, weil sie mehr bürokratische Arbeit leisten müssten. Mit dem neuen Hebammenhilfevertrag, der im November eingeführt wurde, habe sich viel geändert. Bertram sagte: "Die Situation würde ich immer noch als sehr turbulent beschreiben." Es seien zahlreiche Fragen offen. Hintergrund ist eine neue Gebührenordnung für freiberufliche Hebammen, die am 1. November in Kraft trat. Zwar stiegen die Stundensätze deutlich, statt Pauschalen müssen die Hebammen aber künftig in Zeiteinheiten von fünf Minuten abrechnen. Das neue Abrechnungssystem ist das Ergebnis eines Schiedsspruchs, nachdem sich die gesetzlichen Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) und die Hebammenverbände zuvor nicht einigten konnten. Der Deutsche Hebammenverband sieht dadurch besonders die selbstständigen Beleghebammen benachteiligt und geht von Einkommenseinbußen von mindestens 20 Prozent aus. Der neue Vertrag habe sich auf die Stimmung der Hebammen im Land ausgewirkt. "Es fühlt sich tatsächlich ein bisschen wie eine Ohrfeige an, dass die gute Arbeit, die wir wirklich mit Herzblut leiten, durch diesen Vertrag so - ich sage mal salopp - abgewatscht wird", betonte Bertram. Sie warnte vor einem drohenden Mangel an Hebammenhilfe. Zwar gebe es genug Hebammen, doch ob sie ihre Arbeit künftig fortsetzten, sei ungewiss – viele gäben auf. "Bei den Hebammen ist es sehr ruhig geworden im Land - entweder aus Resignation und Erschöpfung oder durch eine Schockstarre." Betram appellierte: "Wir tragen wesentlich zur Gesundheitserhaltung von Mutter und Kind bei, Hebammen leisten wichtige präventive Arbeit." Eine Geburt präge ein Leben lang – sowohl die körperliche als auch die seelische Gesundheit von Mutter und Kind. © dpa-infocom, dpa:251223-930-459820/1