Meinung: Finanz-PISA: Holt endlich die Finanzbildung in die Klassen!

Datum20.12.2025 16:13

Quellewww.spiegel.de

TLDRIn Deutschland bleibt die Finanzbildung für Jugendliche unzureichend, während andere europäische Länder bereits an Finanzkompetenz-Tests (Finanz-PISA) teilnehmen. Zunehmende soziale Ungleichheit und mangelndes Finanzwissen gefährden Chancengleichheit. Die Finanztip Stiftung hat über 100.000 Unterschriften für die Teilnahme an diesem Test gesammelt, um Bildungsminister für eine nationale Strategie zu gewinnen. Trotz erster positive Signale der Bildungsminister bei der letzten Konferenz zeigt sich der Wille zur Umsetzung jedoch als schwach. Finanzbildung ist dringend notwendig, um Jugendliche für ihre finanzielle Zukunft zu stärken.

InhaltIn anderen europäischen Ländern ist ein Pisa-Test zur Finanzkompetenz etabliert, aber Deutschland ziert sich immer noch. Das ist fatal: Eine ausbleibende Bildung in finanziellen Fragen zementiert die Chancenungleichheit. Wie steht es um das Finanzwissen von Jugendlichen in Deutschland? Das würden wir gern erfahren. Vor zwei Monaten haben meine Kollegen bei der Finanztip Stiftung daher begonnen, Unterschriften zu sammeln für eine Finanz-PISA-Untersuchung auch in Deutschland. Die Teilnahme am Finanzbildungsmodul der PISA-Studie ist freiwillig, seit 2012 haben aber fast alle unsere europäischen Nachbarn solche Untersuchungen schon mal gemacht, geforscht und verglichen, um anschließend konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Allgemeinbildung für ihre jungen Leute ermitteln zu können. Deutschland hat sich bis jetzt aber nicht beteiligt. Finanzbildung ist existenziell notwendig, damit junge Menschen wenigstens in der Schule ein Stück mehr Chancengleichheit bekommen. Von den Kompetenzen der Eltern darf man sie nicht abhängig machen, dann wäre es mit der Chancengleichheit nicht weit her. Ohne Empirie wird es aber keine vernünftige Strategie geben. Und so liegt eine nationale deutsche Finanzbildungsstrategie in weiter Ferne. In Deutschland wird diese Chance bislang ignoriert. Finanzbildung gibt es im Wesentlichen als Lippenbekenntnis, in vielen Ländern und Schulformen ohne eigenen Lehrplan oder gar ein eigenes Schulfach. Und die Landesministerinnen und -minister, die für Bildung zuständig sind, haben bislang wenig Interesse gezeigt, das zu ändern. Angesichts zunehmender Verschuldung bei jüngeren Menschen  und berechtigter Klagen der Jungen, dass sie systematisch benachteiligt werden , ihre Zukunft vergeigt wird , die Alten aber Wehrpflicht und Sozialdienst für eine klasse Idee halten, kann man das nicht auf sich beruhen lassen. Hermann-Josef Tenhagen, Jahrgang 1963, ist Chefredakteur von "Finanztip" und Geschäftsführer der Finanztip Verbraucherinformation GmbH. Der Geldratgeber ist Teil der gemeinnützigen Finanztip Stiftung. "Finanztip"  refinanziert sich über sogenannte Affiliate-Links, nach deren Anklicken "Finanztip" bei entsprechenden Vertragsabschlüssen des Kunden, etwa nach Nutzung eines Vergleichsrechners, Provisionen erhält. Mehr dazu hier .Tenhagen hat zuvor als Chefredakteur 15 Jahre lang die Zeitschrift "Finanztest" geführt. Nach seinem Studium der Politik und Volkswirtschaft begann er seine journalistische Karriere bei der "taz". Dort war er jahrelang ehrenamtlicher Aufsichtsrat der Genossenschaft. Auf SPIEGEL.de schreibt Tenhagen wöchentlich über den richtigen Umgang mit dem eigenen Geld. Am Donnerstag haben wir anlässlich der 6. Bildungsministerkonferenz in Berlin über 100.000 Unterschriften überreicht und gefordert, dass die Ministerinnen und Minister endlich aus ihrem Tiefschlaf aufwachen, das Thema auf die Tagesordnung nehmen und sich zum nächsten Finanz-PISA-Test anmelden. Die Anmeldung muss verbindlich bis Mitte 2026 bei der Industrieländerorganisation OECD eingehen, damit Deutschland 2029 an der Untersuchung teilnehmen kann. Von den Ministerinnen und Ministern selbst wollte am Donnerstag noch keiner die Unterschriften entgegennehmen, auch der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz war verhindert. Die Kultusministerkonferenz traf sich diesmal in Berlin, um den Digitalpakt 2.0 zu feiern. Geld vom Bund für die Digitalisierung in den Ländern. Noch so ein Thema, bei dem sich die Schulministerien von Kiel bis München, Dresden bis Düsseldorf nicht mit Ruhm bekleckert haben. Bei der Überreichung von Unterschriften werden wir es bei Finanztip sicher nicht belassen. Dafür ist die Brisanz des Themas zu groß und zu offensichtlich. Im März erwarten wir das Thema auf der Tagesordnung der nächsten Kultusministerkonferenz. Dann kommen die Bildungsminister wieder in Berlin zusammen, Bayern hat den Vorsitz – wir kommen auch, darauf können Sie sich verlassen. Wieso Brisanz? Es geht nicht ums Erben und Vererben von Pfründen, sondern um Chancengerechtigkeit, wenigstens im Bildungssystem. Deutschland ist durch eine im internationalen Vergleich hohe Vermögensungleichheit gekennzeichnet . Die soziale Mobilität in Deutschland nimmt deutlich ab, schreibt selbst das konservative Ifo-Institut den Landesregierungen ins Stammbuch. Am Ende gibt es dann ohne praktische Finanzbildung und glaubwürdiges Aufstiegsversprechen keinen Einsatz für die Zukunft, das wissen Ökonomen ganz genau . Eltern und Lehrkräfte übrigens auch. Da nützt es auch nicht, wenn die OECD 2023 Erwachsenen in Deutschland eine immerhin vergleichsweise hohe Finanzbildung attestiert hat. Wenn Wissen nicht zu Handeln führt, bleibt das Ergebnis mangelhaft. Und das wissen Lehrerinnen und Lehrer besonders gut. Finanztip-Befragungen haben ergeben, dass ein Großteil der Berufstätigen keine Berufsunfähigkeitsversicherung hat, aber ihr Auto vollkaskoversichert. Auch ist der Teil der Menschen in Deutschland mit Aktien oder Fondsinvestments immer noch klein . Zum einen kann auch die Zivilgesellschaft an der Finanzbildung arbeiten. Wir tun das bei Finanztip. Auch und gerade mit dem Impuls, die Finanzbildung nicht den Anbietern wie Banken, Versicherern, Fondsgesellschaften und Brokern zu überlassen. Mit unserer Bildungsinitiative Finanztip Schule  bieten wir Lehrkräften seit gut fünf Jahren Unterrichtsmaterialien zu unterschiedlichen Finanz- und Verbraucherthemen an. In den vergangenen zwölf Monaten haben wir mit unseren Materialien rund 150.000 Schülerinnen und Schüler in ganz Deutschland erreicht. Zudem unterstützen wir Lehrkräfte mit Fortbildungen und informieren diese regelmäßig mit einem maßgeschneiderten Newsletter. Finanztip wird weiter nicht nur Unterschriften sammeln. Zum anderen: Deutschland ist schließlich eine Demokratie, eine Demokratie mit fünf Landtagswahlen allein 2026. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Und Bildungspolitik ist Ländersache. Hinzu kommen Kommunalwahlen in Bayern, Hessen und Niedersachsen. Das erhöht zumindest die Chancen, dass Parteien, die regieren wollen, sich mit Finanzbildung beschäftigen. 107.000 Wählerinnen und Wähler mit Unterschriften sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich zeigte sich in den vergangenen zwei Monaten, dass sich die jeweilige demokratische Opposition mehr für das Thema interessierte als die Regierenden. Die SPD-Opposition im NRW-Landtag spricht sich deutlich für eine solche Teilnahme am Finanz-PISA aus, auch mit dem Risiko, dass langjährige Versäumnisse auch aus eigener Regierungszeit zum Thema werden. In NRW regiert aktuell die CDU gemeinsam mit den Grünen. Die Landesregierung hält einen Finanz-PISA-Test  nicht für notwendig. Anders die CDU in Rheinland-Pfalz, hier in der Opposition: Dort will die Union die Forderung nach einem Finanz-PISA-Test nach Angaben von Landesgeneralsekretär Johannes Steiniger sogar ins Wahlprogramm für die Landtagswahl 2026 aufnehmen. In Baden-Württemberg hat sich die FDP das Thema Finanz-PISA auf die Fahnen geschrieben . Eine Finanz-PISA-Studie wäre übrigens ein überaus preiswertes Vergnügen, wenn alle Bundesländer mitmachen. Dann kostet es die Länder insgesamt etwas mehr als eine Million Euro, verteilt nach dem Königssteiner Schlüssel , also beispielsweise 210.000 Euro für NRW und 155.000 für Bayern, aber nur 52.000 Euro in Berlin. Der Bund wäre mit gerade mal 75.000 Euro dabei. Kann man vielleicht sogar aus den fünf Milliarden Euro bestreiten, die gerade für den Digitalpakt beschlossen worden sind. Hartnäckig hält sich der Verdacht, dass die Zurückhaltung der Bundesländer daran liegt, dass man die Unzulänglichkeit der bisherigen Anstrengungen nicht dokumentiert haben möchte – und schon gar nicht im Vergleich der Bundesländer. Schon 2013 gab es nach den PISA-Tests massiven Ärger, und die Landesregierungen versuchten mit drastischen Mitteln solche Vergleiche zu verhindern. Der SPIEGEL machte damals auf Strafklauseln aufmerksam, die Bildungsforscher vor der Nutzung der PISA-Rohdaten unterschreiben sollten. Um mit den Daten zu arbeiten, müssen Wissenschaftler Anträge ausfüllen, die Strafen für ungewünschte Nutzung vorsehen. Teilweise drohten damals bis zu 300.000 Euro Geldbuße und bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Der Aktionsrat Bildung hat erst kürzlich gefordert, im Rahmen von PISA die Bundesländervergleiche wieder aufzunehmen . All das kann natürlich in Zukunft viel besser werden. Bildungsministerinnen und Bildungsminister könnten entdecken, dass der Föderalismus ihnen einen permanenten Vergleich ermöglicht, wie Deutschland in der Finanzbildung vorankommen kann. Man könnte quasi als Testdesign konstant voreinander lernen. Ein Anfang wurde übrigens an diesem Donnerstag bei der Bildungsministerkonferenz tatsächlich gemacht. Simone Oldenburg, Präsidentin der Bildungsministerkonferenz und Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern (noch so ein Land mit einer Landtagswahl im kommenden Jahr), antwortete auf der Abschlusspressekonferenz der Bildungsminister auf die Frage, ob Finanz-PISA denn auch in Deutschland kommen könne: Wenn es nach ihr gehe, ja. Darüber werde man auf den kommenden Bildungsministerkonferenzen entscheiden. Vor der Tür hatten auch mehrere andere Kultusminister prinzipielle Offenheit für die Forderung signalisiert. Wunderbar, liebe Kultusministerinnen und Kultusminister: Das Thema steht also jetzt quasi offiziell auf der Tagesordnung. Den Vorsitz hat dann Bayern. Und dort steht eine Kommunalwahl an. Es könnte sein, dass sich die Wählerinnen und Wähler im Freistaat auch für Schulthemen interessieren. Und nicht nur für den neuen Lieblingsvorschlag des dortigen Ministerpräsidenten: das Absingen der Bayernhymne bei der Zeugnisvergabe.