Datum19.12.2025 23:49
Quellewww.spiegel.de
TLDRIm Gazastreifen ist laut IPC-Report keine Hungersnot mehr, die humanitäre Lage bleibt jedoch kritisch. Der Zugang zu Lebensmittellieferungen hat sich seit der Waffenruhe am 10. Oktober verbessert, aber der Bedarf übersteigt die Hilfe. Über 100.000 Menschen leiden unter katastrophalen Bedingungen, und bis April 2026 könnte die Situation sich verschlimmern. Experten warnen vor einem Rückschlag bei einer Wiederaufnahme der Kämpfe. Die israelische Militärbehörde weist die Berichte als fehlerhaft zurück und betont, dass die Lebensmittelversorgung sich verbessert habe.
InhaltDer Beobachtungsstelle IPC zufolge herrscht im Gazastreifen keine Hungersnot mehr. Entwarnung geben die Experten jedoch nicht. Noch immer wachse der Bedarf schneller, als Hilfe eintreffen könne. Die humanitäre Lage im Gazastreifen ist laut internationaler Klassifikation keine Hungersnot mehr – bleibt jedoch kritisch. Das ist das Ergebnis eines Berichts der Initiative Integrated Food Security Phase Classification (IPC). Grund für die Verbesserung sei der erleichterte Zugang für Lebensmittel-Lieferungen seit Beginn der Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas am 10. Oktober. Uno-Generalsekretär António Guterres sagte jedoch, die Fortschritte seien gefährlich fragil. Zwar hätten weit mehr Menschen Zugang zu überlebenswichtigen Lebensmitteln. Der Bedarf wachse jedoch schneller, als Hilfe eintreffen könne. Die IPC warnte zudem, dass im kommenden Jahr fast 101.000 Kinder unter fünf Jahren und 37.000 schwangere und stillende Frauen an akuter Unterernährung leiden würden. Die Beobachtungsstelle hatte noch vor vier Monaten erklärt, dass 514.000 Menschen und damit fast ein Viertel der Bevölkerung im Gazastreifen von einer Hungersnot betroffen seien. Obwohl keine Hungersnot mehr klassifiziert wird, leiden dem IPC-Bericht zufolge immer noch mehr als 100.000 Menschen unter katastrophalen Bedingungen. Diese werden als extremer Nahrungsmangel mit deutlich erhöhtem Risiko für akute Unterernährung und Tod beschrieben. Die IPC geht jedoch davon aus, dass diese Zahl bis April 2026 auf rund 1900 sinken wird. Ärzte vor Ort berichten von weiterhin weitverbreiteter Mangelernährung. So seien bei einer Untersuchung von 6000 Kindern rund 1000 als mangelernährt eingestuft worden, von denen 100 eine Krankenhausbehandlung benötigten. Auch Hilfsorganisationen mahnen zur Vorsicht. Der Leiter des Welternährungsprogramms (WFP) in der Region, Antoine Renard, sprach zwar von Anzeichen einer Verbesserung, da die meisten Menschen inzwischen zwei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen könnten. Er fügte jedoch hinzu, es sei eine ständige Herausforderung, einen reibungslosen Zugang für Hilfslieferungen sicherzustellen. Die Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC) warnte, der Hunger im Gazastreifen bleibe auf katastrophalem Niveau. "Verwechseln Sie den Fortschritt nicht mit dem Ende der Krise", sagte Bob Kitchen, der Vizepräsident für Nothilfeeinsätze des IRC. "Die israelische Regierung muss viel mehr Hilfslieferungen zulassen", erklärte Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan. Die Beobachtungsstelle IPC warnte zugleich vor der Gefahr eines Rückschlags. Bei einer Wiederaufnahme der Kämpfe und einem Stopp der Hilfslieferungen könnte im schlimmsten Fall der gesamte Gazastreifen bis Mitte April 2026 von einer Hungersnot bedroht sein. Die für die Koordinierung von Hilfslieferungen zuständige israelische Militärbehörde Cogat wies den IPC-Bericht zurück. Die Initiative stelle die Realität vor Ort falsch dar, da der Bericht auf lückenhaften Daten und Quellen beruhe, die nicht das volle Ausmaß der humanitären Hilfe widerspiegelten. Das israelische Außenministerium ergänzte, die Lebensmittelpreise seien seit Juli stark gefallen. Cogat zufolge gelangen seit Beginn der Waffenruhe täglich 600 bis 800 Lastwagen in das Gebiet. Die im Gazastreifen herrschende Hamas bestreitet diese Zahlen. Von einer Hungersnot wird gesprochen, wenn mindestens 20 Prozent der Bevölkerung unter extremer Nahrungsmittelknappheit leiden, jedes dritte Kind akut unterernährt ist und täglich zwei von 10.000 Menschen an Hunger oder den Folgen von Mangelernährung sterben.