Datum19.12.2025 16:35
Quellewww.spiegel.de
TLDRDie EU plant, das Verbrennerverbot bis 2035 zu lockern, indem Autohersteller ihre Flottenemissionen nur um 90% reduzieren müssen. Dies weckt Kritik aus der Industrie, die ein sofortiges Verbot als zu drastisch empfindet. Analysten warnen, dies könnte die Klimaziele gefährden, da der Markt für Verbrenner schrumpfen wird. Trotz der Lockerung bleibt der große Jubel aus, da grundlegende Probleme der Autoindustrie weiterhin bestehen. Die Transformation zur Elektromobilität wird als unerlässlich erachtet, während die Branche nach mehr Flexibilität fordert.
InhaltDas Verbrennerverbot in der EU wird fallen. Aber die Industrie jubelt trotzdem nicht. Kein Wunder, denn die ganze Debatte wurde von Anfang an unehrlich geführt. Auf diesen Maßstab für Politik müsste man sich doch eigentlich einigen können: Sie sollte die Leute nicht für dumm verkaufen. Sie nicht verschaukeln, veräppeln, verhohnepiepeln. Wenn man sich auf diesen sehr einfachen Maßstab einigen kann, dann fällt das Verbrenner-Aus-Aus glatt durch. Schon seit Jahrzehnten regelt die EU, wie viel CO₂ die Autoflotten insgesamt ausstoßen dürfen. Der Wert sank langsam, in den nächsten Jahren soll er rasch fallen. Die Rechnung ist leicht: 2050 muss die EU klimaneutral sein. Der geplante Emissionshandel 2 würde sogar schon um 2040 herum die Emissionen im Verkehr auf null bringen. Weil ein Auto im Schnitt 17 bis 18 Jahre lang gefahren wird, müssen schon früher nur noch klimaneutrale Autos neu zugelassen werden. Die EU hat sich auf 2035 geeinigt und den Flottengrenzwert dann auf null gesetzt. Für neue Diesel und Benziner ist dann de facto kein Platz mehr. Dagegen liefen zunehmend Industrie, Konservative und Liberale Sturm, immer mit dem Argument, man müsse der Industrie helfen. Friedrich Merz, heute Kanzler, zog damit in den Wahlkampf. Und Bayerns Ministerpräsident, CSU-Chef Markus Söder, tuckerte mal wieder an die Spitze der Bewegung: "Das EU-Verbrennerverbot 2035 gefährdet Hunderttausende Arbeitsplätze." Manchmal, da ging es schon los mit dem Verschaukeln, klang es so, als sei eine Regel, die erst in einem Jahrzehnt wirksam wird, für die Krise der Autoverkäufe in der Gegenwart verantwortlich. Nun hat die EU-Kommission einen Vorschlag gemacht. Es gibt allerhand bedeutsame Details darüber hinaus, aber im Kern sieht er vor, dass die Autohersteller bis 2035 ihre Flottenemissionen nicht um 100 Prozent senken müssen, sondern nur um 90 Prozent, gemessen am Jahr 2021. Das ist schon ein ziemliches Zugeständnis. Gerade erst hat die EU minus 90 Prozent Gesamtemissionen bis 2040 als Ziel ausgegeben. Die Spielräume sind einfach nicht sehr groß. Dafür ist die Klimakrise zu drängend, hat die Welt zu lange getrödelt. Der Hochlauf der Elektromobilität bleibe alternativlos, "gerade zur Erreichung der deutschen und europäischen Klimaziele", hatten ja auch Söder und Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Olaf Lies im Oktober in einem Gastbeitrag im Handelsblatt geschrieben. Aber: "Bei den Zielen ab 2035 brauchen wir mehr Flexibilität. 100 Prozent reine Elektromobilität 2035 ist nicht mehr realistisch". Diese Flexibilität wird es nun geben. Alles gut also? Sind die Hunderttausenden Jobs nun gerettet? Lucien Mathieu vom ökologisch orientierten Lobbydachverband "Transport and Environment" hat vorgerechnet , was die neue Regel wohl etwa bedeuten würde. Er rechnet mit im Schnitt noch 11 Gramm CO₂ pro Kilometer, die dann noch erlaubt sind. Die sind ein Durchschnittswert. Neben vielen E-Autos können dann noch wenige sehr schmutzige Verbrenner verkauft werden oder deutlich mehr sauberere Hybride. Sind es "Range Extender"-Pkw, also Elektroautos mit kleinem Verbrennungsmotor, der die Batterie laden und so den Weg zur nächsten Tankstelle verlängern kann, wären es sogar rund 50 Prozent der Neuwagen. Aber solche Autos spielen in Europa bisher kaum eine Rolle. Sind es schwere Diesel oder Benziner, sind es nur noch 5 Prozent. Nimmt man eine Mischung an und eine Dominanz von Hybriden, wird man wahrscheinlich zwischen zehn und 25 Prozent landen, die noch einen Verbrennungsmotor haben. Das ist nicht nichts, und aus Sicht des Klimaschutzes, der sowieso ständig zu wenig und zu langsam schafft: ein echtes Problem. Aber aus Sicht der Industrie heißt das: Der europäische Verbrenner-Markt schrumpft statt auf null auf bestenfalls ein Viertel, eher weniger oder deutlich weniger. Albert Waas leitet den Auto-Sektor der Unternehmensberatung BCG in Europa und sagt: "Die Wertschöpfung der deutschen Hersteller und Zulieferer am Auto wird weiter zurückgehen." In der Batterietechnik spiele Deutschland keine große Rolle, und die sei nun mal das teuerste Teil am E-Auto. Chinesische Hersteller drängen auf den Markt. Und die neuen Pläne der Kommission? "Die geben der Branche ein klein bisschen mehr Zeit, sich anzupassen, aber sie ändern das große Bild nicht", glaubt er. Tatsächlich arbeiten bei Zulieferern Hunderttausende Menschen – aber wie die kleine verbleibende Hybridflotte in 2035 all diese Jobs bewahren soll, hat noch niemand vorrechnen können. Ein paar Unternehmen werden übrig bleiben, gut verdienen. "Last Men Standing", nennen das Analysten. Ein paar Jahre fließt noch etwas Geld aus dem Altgeschäft in die Transformation, die nicht so schnell vorangeht, wie erhofft. Wenn man das erreichen wollte, könnte und müsste man zufrieden sein. Allein: Der große Jubel bleibt aus. Im Gegenteil, die Kritik ist mitunter scharf, beispielsweise vom Branchenverband VDA. "Brüssel enttäuscht mit seinem vorgelegten Entwurf", sagte dessen Präsidentin Hildegard Müller. Oder von der Chefin des Wirtschaftsflügels der Union, Gitta Connemann: "Brüssel muss dringend nachsteuern." Klimaschutz stehe außer Frage, dem E-Auto gehöre die Zukunft, nur das Verbrennerverbot müsse weg, so lautete die politische Forderung. Nun soll es so kommen – und es zeigt sich, was man schon lange wissen konnte: Die Probleme der Autoindustrie haben im Großen nur wenig mit dieser einen Regel zu tun. Der erweckte Eindruck war falsch. Es kann natürlich sein, dass es nie um etwas mehr Flexibilität ging, nicht um "Technologieoffenheit", sondern darum, die Transformation grundsätzlich anzugreifen. Klimaziele abzuschaffen oder auszuhöhlen. Das allerdings wäre dann unehrlich in einem noch viel größeren Maß, die absolute Verhohnepiepelung der Öffentlichkeit auf Kosten der künftigen Freiheiten. Und was macht man jetzt mit einem politischen Projekt, mit dem man sich so oder so verschaukelt vorkommen kann? Mit einem Vorschlag, der noch durch EU-Parlament und Rat muss und den Vertreter von CDU, CSU und Industrie unbedingt noch weiter aufbohren wollen, und der Klimaschützer entsetzt? Branchenkenner Albert Waas von BCG sagt: "Planungssicherheit ist das Wichtigste für die Industrie. Mit einer verbindlichen Umsetzung des Kommissionsvorschlags wäre diese bis 2035 gegeben." Also am besten nicht noch weiter Verunsicherung stiften. Wenn Sie mögen, informieren wir Sie einmal in der Woche über das Wichtigste zur Klimakrise – Storys, Forschungsergebnisse und die neuesten Entwicklungen zum größten Thema unserer Zeit. Zum Newsletter-Abo kommen Sie hier. Autolobby: Die EU kippt das Verbrenner-Aus – die Industrie meckert trotzdem Brüssel rückt vom Verbrennerverbot ab, doch die Autokonzerne sind nicht zufrieden. "Fatal" nennt ihr Lobbyverband den Vorschlag der EU-Kommission und nimmt ihn Stück für Stück auseinander. Industriepolitik: Der falsche Antrieb Die Bundesregierung unter Friedrich Merz verwendet viel Energie darauf, alte Erfolgsmodelle wie den deutschen Verbrennungsmotor zu bewahren. Neue Weltmarktführer entstehen so leider nicht. Aufweichung der CO₂-Regeln in der EU: Ökonomen üben scharfe Kritik an der Abkehr vom Verbrenner-Aus Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen warnt vor der Aufweichung der CO₂-Regeln in der EU für Neuwagen: Die Abkehr vom Verbrenner-Aus löst laut Monika Schnitzer kein Problem der Autoindustrie. Und sende widersprüchliche Signale an die Branche. Elektromobilität: VW baut jetzt eigene Batterien Die VW-Tochter PowerCo startet heute ihre Batteriezellfertigung in Salzgitter. Der Automobilkonzern will so die Kosten seiner E-Autos senken. Noch sind die produzierten Stückzahlen allerdings bescheiden. US-Automobilkonzern: Tesla will nun auch Batteriezellen in Deutschland fertigen Neben Autos fertigt die US-Firma Tesla Batterien in Grünheide bei Berlin – und künftig wohl auch die dazugehörigen Zellen. In Salzgitter eröffnet schon an diesem Mittwoch ein anderer Konzern eine entsprechende Fabrik. Klimazoll: EU-Kommission will CO₂-Importabgabe auf Haushaltsgeräte ausweiten Die EU erhebt ab 2026 eine Art CO₂-Zoll auf klimaschädliche Waren. Diese Importabgabe soll nach dem Willen der Kommission nun auch auf Maschinen sowie Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen anfallen. Umweltschutz: Privathaushalte produzieren wieder mehr Müll Vermeiden, trennen, verwerten – es gibt jede Menge Ratgeber, die erklären, wie sich die täglich anfallenden Abfallmengen in privaten Haushalten verringern lassen. Trotzdem steigt das Aufkommen weiter an. Auswirkungen des Klimawandels: Weltweit könnten schon bald Tausende Gletscher pro Jahr schmelzen Je nach Ausmaß der Erderwärmung könnten schon bald jährlich zwischen 2000 und 4000 Gletscher verschwinden, prognostizieren Forschende. "Woke Ausrichtung": Trump-Regierung will Klimaforschungsinstitut NCAR schließen Für das Weiße Haus ist das NCAR "eine der größten Quellen von Klima-Alarmismus im Land". Deshalb will die US-Regierung sofort mit der Auflösung des seit 1960 bestehenden Forschungsinstituts beginnen. Bleiben Sie zuversichtlich! Ihr Jonas Schaible,Redakteur im Hauptstadtbüro