Datum18.12.2025 13:08
Quellewww.spiegel.de
TLDRDer Europäische Gerichtshof entschied, dass die EU-Grenzschutzagentur Frontex für Grundrechtsverletzungen bei Abschiebungen verantwortlich ist. Ein Beispiel ist eine syrische Familie, die trotz Asylsuchens von Griechenland in die Türkei abgeschoben wurde. Der EuGH kritisierte, dass Frontex nicht nur technische Unterstützung leistet und die Rechte von Asylsuchenden schützen muss. Eine Klage der Familie wurde zuvor abgewiesen; das Gericht der EU muss nun erneut prüfen. Auch eine weitere Klage eines syrischen Mannes wird wieder aufgerollt.
InhaltDie EU-Grenzschutzagentur Frontex schickte eine aus Syrien geflüchtete Familie von Griechenland in die Türkei – obwohl diese eigentlich Asyl beantragen wollte. Nun könnten die Kurden Schadensersatz erhalten. Die europäische Grenzschutzagentur Frontex soll die EU-Außengrenzen sichern, ist außerdem für Abschiebungen und Rückführungen verantwortlich. Aber leistet Frontex dabei nur technische Unterstützung für die Mitgliedsländer oder trägt die Agentur auch selbst Verantwortung, Grundrechte zu wahren? Der Europäische Gerichtshof hat in einem Fall nun ein deutliches Urteil gesprochen. Der Entscheidung des Gerichtshofs zufolge haftet Frontex für Grundrechtsverletzungen bei Abschiebungen. Frontex sei nach dem EU-Recht verpflichtet, bei sogenannten Rückkehraktionen Grundrechte Asylsuchender zu schützen, so die Richterinnen und Richter in Luxemburg. Dazu gehöre auch, zu prüfen, ob für alle Betroffenen solcher Aktionen Rückkehrentscheidungen vorliegen. Nun muss das Gericht der Europäischen Union – eine Instanz unter dem EuGH – die Schadenersatzklage einer Familie syrischer Kurden noch einmal prüfen. Die Eltern waren mit ihren vier Kindern auf einer griechischen Insel in Europa angekommen. Nur wenige Tage später wurde die Familie im Rahmen einer von Frontex koordinierten Rückkehraktion in die Türkei geflogen. Dabei hatte die Familie erklärt, Asyl beantragen zu wollen. Später floh die Familie aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien in den Irak. Die Betroffenen sahen in der Rückkehraktion eine rechtswidrige Zurückweisung und verlangten Schadensersatz in Höhe von knapp 140.000 Euro von Frontex. Das Gericht der Europäischen Union wies die Klage der Familie im Jahr 2023 ab. Das Gericht argumentierte, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen einem möglichen Fehlverhalten von Frontex und dem geltend gemachten Schaden gegeben habe. Der EuGH ist nun der Ansicht, dass das Gericht in erster Instanz zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass Frontex den Mitgliedstaaten lediglich technische und operative Unterstützung leiste, ohne prüfen zu müssen, ob eine Rückkehrentscheidung vorliegt. Zudem betonte der Gerichtshof, dass mögliche Grundrechtsverletzungen während eines Rückführungsflugs nicht allein dem beteiligten Mitgliedstaat – hier Griechenland – zugerechnet werden könnten. Auch eine Haftung von Frontex komme in Betracht. Das erste Gericht habe die Rolle der Agentur bei der Rückkehraktion daher nicht richtig bewertet. Das Gericht der EU muss darüber hinaus eine zweite Schadenersatzklage gegen Frontex erneut prüfen. Der EuGH verwies in einer weiteren Entscheidung den Fall eines Syrers zurück, der behauptet, Opfer eines Pushbacks geworden zu sein. Er fordert 500.000 Euro von der Grenzschutzagentur. Seine Klage wurde zuvor mit der Begründung abgewiesen, er habe den Schaden nicht bewiesen. Der Gerichtshof entschied, dass das erste Gericht in dem Fall aber hätte Maßnahmen treffen müssen, um von Frontex alle relevanten und ihr verfügbaren Informationen zu erhalten. Iftach Cohen, Anwalt des Syrers, sprach von einem historischen Urteil. "Dies wird endlich dazu beitragen, den Opfern von Frontex Zugang zur Justiz zu gewährleisten", sagte er. Der Kläger, Alaa Hamoudi, sagte: "Nach vier Jahren Verfahren, in denen ich mein Trauma erneut durchleben und mich mit dem unfairen Misstrauen der Richter in erster Instanz auseinandersetzen musste, bin ich endlich am Tag der Wahrheit angelangt." Das sei nicht nur ein persönlich wichtiger Moment. "Sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Männer, Frauen und Kinder, die dasselbe wie ich in der Ägäis erlebt haben und sich nicht wehren konnten." Griechische Grenzschützer schleppten massenhaft Flüchtlinge aufs offene Meer zurück. Recherchen des SPIEGEL und seiner Partner aus dem Jahr 2020 zeigen, welche Rolle EU-Beamte dabei spielten. Mehr dazu lesen Sie hier.