EU-Gipfel: Diskussion über Nutzung russischer Vermögen für Ukraine-Hilfe

Datum18.12.2025 08:31

Quellewww.spiegel.de

TLDRBeim EU-Gipfel wird diskutiert, russische eingefrorene Vermögenswerte in Europa zur Finanzierung von Hilfen für die Ukraine zu nutzen. Rund 200 Milliarden Euro sind in der EU blockiert, und ein Reparationsdarlehen soll der Ukraine zinslose Kredite gewähren. Während Unterstützer wie Ursula von der Leyen und Friedrich Merz dafür plädieren, zeigen Länder wie Belgien Bedenken wegen möglicher russischer Reaktionen und rechtlicher Konsequenzen. Die Einigung könnte schwierig werden, da mehrere Mitgliedstaaten den Plan unterstützen, aber auch auf Belgiens Bedenken Rücksicht nehmen müssen.

InhaltBeim EU-Gipfel diskutieren die Regierungschefs darüber, russische Milliardenvermögen in Europa zu nutzen, um der Ukraine zusätzliches Geld zu leihen. Was dafür spricht, welche Sorgen und Alternativen es gibt. Der Überblick. Kurz vor dem EU-Gipfel sind die Stimmen in Brüssel unüberhörbar. "Let Russia pay", skandierten Demonstrierende mit ukrainischen Flaggen am Mittwochnachmittag vor den Gebäuden der EU-Kommission und des Rats der Mitgliedstaaten: "Lasst Russland zahlen." Über genau die Idee sollen die Staats- und Regierungschefs von diesem Donnerstag an beraten und entscheiden. In der EU liegen rund 200 Milliarden Euro russischer Vermögenswerte "eingefroren", das heißt: Die Eigentümer haben keinen Zugriff auf das Geld, als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine. Die EU-Kommission und mehrere Mitgliedstaaten schlagen vor, beträchtliche Teile dieses Geldes zu nutzen, um der Ukraine vom kommenden Jahr an zinslose Kredite für ihre Verteidigung zu gewähren. Denn nach einem Ende des Krieges, so die Logik der Befürworter, müsse Russland ohnehin Reparationen an die Ukraine leisten. Dann könnte Kyjiw die Kredite zurückzahlen. Die Idee nennt sich daher Reparationsdarlehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Friedrich Merz (beide CDU) haben sich in den vergangenen Monaten dafür starkgemacht und erhalten Unterstützung etwa aus Skandinavien und Osteuropa. Doch vor allem Belgien hat Bedenken. Denn allein beim Finanzdienstleister Euroclear  in Brüssel schlummern eingefrorene Gelder der russischen Zentralbank im Wert von mehr als 180 Milliarden Euro. Das Unternehmen und der belgische Staat fürchten Vergeltung aus Moskau, da der Kreml den Milliardentransfer als Diebstahl werten würde. Beobachter erwarten, dass das Thema der Finanzierung der Ukraine die meiste Zeit dieses EU-Gipfels einnehmen dürfte. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick. Ein Finanzdienstleister wie Euroclear soll die gut 180 Milliarden Euro auch künftig als Vermögenswert in der Bilanz stehen haben – dann allerdings nicht in Form liquider Mittel, sondern eines Schuldscheins, einer Forderung gegenüber der EU-Kommission. Diese wiederum könnte auf der Grundlage Kredite an die Ukraine gewähren; dies ist in Tranchen geplant. Einen ersten Schritt dorthin ist die EU gegangen: Ende voriger Woche beschloss der Rat der Mitgliedstaaten, die russischen Guthaben dauerhaft einzufrieren. Zuvor war das immer nur für sechs Monate geschehen, was als Grundlage für Reparationsanleihen viel zu kurzfristig wäre. Der Schlachtruf "Let Russia pay" soll allerdings nicht bei jenen Milliarden haltmachen, die bei Euroclear liegen. Die EU-Kommission will auch russische Vermögenswerte nutzen, die bei Privatbanken schlummern und ebenfalls eingefroren sind. Deutschland ist als Verwahrort davon nicht stark betroffen; hierzulande soll "nur" Gold im Wert von etwa 200 Millionen Euro lagern. Nach einer politischen Einigung auf dem EU-Gipfel könnten die entsprechenden Rechtstexte Anfang kommenden Jahres zur Beratung in das Europaparlament und den Rat der Mitgliedstaaten gehen. Alles soll schnell gehen, denn die Ukraine brauche das Geld vom zweiten Quartal 2026 an, heißt es in Brüssel. Doch der Weg zu einer Einigung ist noch weit. Euroclear argumentierte öffentlich, dass das Guthaben der russischen Zentralbank dem russischen Staat gehört, mithin sogar völkerrechtlich geschützt ist. Russland hat also grundsätzlich ein Rückforderungsrecht. Die Aussicht darauf, dass Moskau eines Tages Reparationen leisten müsse, und die Ukraine dann den Kredit zurückzahlen könnte, ist nach Ansicht von Euroclear viel zu vage. Und der Kreml könnte als Reaktion auf den Milliardentransfer nicht nur den Finanzdienstleister international verklagen, sondern als Revanche auch europäische Vermögenswerte beschlagnahmen, die noch in Russland liegen. Viele westliche Unternehmen sind noch immer in Russland aktiv – und jene, die ihre Geschäfte dort verkauft haben, konnten bislang große Teile des Geldes nicht außer Landes bringen. Sie mussten es stattdessen auf Sonderkonten einzahlen – sogenannte Konten des Typs C. Wie viel Geld dort insgesamt lagert, weiß niemand genau. Bisherige Schätzungen gehen von zweistelligen Milliardensummen aus. Ebenfalls auf diesen Konten landen große Teile der Gewinne, die westliche Firmen in Russland erwirtschaften – und die nicht in die Heimatländer überwiesen werden dürfen. Auf dieses Geld könnte die Regierung in Moskau leicht zugreifen – auch wenn ihr dann wiederum Klagen vor internationalen Schiedsgerichten drohen könnten. Theoretisch denkbar wäre auch, dass Russland aus Vergeltung viele europäische Firmen enteignen könnte. Davor hatte neulich die Deutsch-Russische Außenhandelskammer gewarnt. Die Bundesrepublik habe dabei "am meisten zu verlieren"; deutsches Kapital in Höhe von 100 Milliarden Euro sei in Russland in Gefahr. Andere Stimmen halten diese Zahl für drastisch übertrieben. Zudem hat Russland schon in der Vergangenheit bewiesen, kein Interesse an einer Zerschlagung westlicher Firmen zu haben. Im Gegenteil: Der Kreml versucht seit Jahren, den eigenen Leuten "business as usual" vorzugaukeln. Eingriffe in das Geschäft Tausender Unternehmen in Russland könnten den Wirtschaftsablauf empfindlich stören. Ein weiteres, eher abstraktes Gegenargument lautet, dass Europa international den Ruf bekommen könnte, dass Geld dort nicht mehr sicher sei, und das Image des Euro als Reservewährung leiden würde. Befürworter eines Reparationsdarlehens erkennen zwar an, dass Russland in Zukunft wieder Anspruch auf die eingefrorenen Vermögenswerte hätte – allerdings erst, wenn der Krieg in der Ukraine wirklich zu Ende ist und Moskau Reparationen leistet. Belgien drängt darauf, dass die anderen Mitgliedstaaten Garantien für genau diesen Fall abgeben sollen – damit die Rückzahlung an Russland gesichert wäre. Auch die EU-Kommission will darauf pochen, dass der Großteil der Garantien der Mitgliedstaaten sicher stehen müsste, bevor ein erstes Darlehen an die Ukraine gehen könnte. Die Sorge um den Finanzplatz Europa indes fällt angesichts der negativen Folgen, die eine Niederlage der Ukraine für den Kontinent hätte, kaum ins Gewicht. Letztlich gehe es darum, die Ukraine so zu stabilisieren, dass sie nicht pleite an den Verhandlungstisch mit Russland treten muss. Und wenn ein Land das Völkerrecht gebrochen hat, dann war es Russland mit dem Angriff auf die Ukraine. Selbst wenn man das Finanzplatz-Argument sehr ernst nimmt, bleibt die Frage, auf welche alternativen Märkte internationale Investoren ausweichen sollten: Der US-Dollar dominiert das Weltfinanzsystem, gefolgt von Euro, britischem Pfund und anderen kleineren Währungen, die aber allesamt dem westlichen Lager zuzurechnen sind. Deutschland müsste angesichts seiner Wirtschaftskraft etwa 22 Prozent der Garantien für eine Reparationsanleihe stellen. Wenn die EU der Ukraine wie vorgesehen eine erste Tranche über 45 Milliarden Euro leihen würde, wären von deutscher Seite somit rund zehn Milliarden Euro an Garantien nötig. Der Bundestag müsste dem zustimmen. Die Behörde Eurostat hat bereits signalisiert, dass sie solche Garantien nicht auf den Schuldenstand der EU-Staaten anrechnen werde – für die vielen Länder mit angespannter Haushaltslage eine wichtige Information. Grundsätzlich könnte die EU eigene Schulden aufnehmen und das Geld an die Ukraine weiter leihen – oder auch einzelne Mitgliedstaaten bilateral. Doch dagegen sprechen gleich mehrere Probleme: Gemeinschaftliche Schulden müssten die EU-Länder gemäß der üblichen Praxis einstimmig beschließen. Von dieser Praxis über eine Notstandsklausel abzuweichen, würde vor Gericht wohl nicht standhalten, befürchtet man in Brüssel. Doch will beispielsweise Ungarn keine weiteren finanziellen Verpflichtungen für die Ukraine eingehen. Und in Ländern wie Belgien und Frankreich ist die Finanzlage derart angespannt, dass sie kaum neue Milliardenverpflichtungen eingehen könnten. Daher gilt der Weg über die eingefrorenen Vermögenswerte als der realistischste Ansatz. Die Mitgliedstaaten könnten ihn mit qualifizierter Mehrheit beschließen; es braucht also die Zustimmung von 15 Ländern, die zusammen wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. Doch das wird kein Selbstläufer: Mehrere Staaten wollen den Milliardentransfer, wenn es beim Gipfel hart auf hart kommt, nicht gegen die Stimme Belgiens beschließen – jenes Land, das den allergrößten Teil des Risikos trüge. Sie sind zwar eigentlich für das Reparationsdarlehen, wollen aber nicht, dass kleinere Mitgliedstaaten derart übergangen werden. Der belgische Premierminister Bart De Wever ist in seiner Ablehnung des Vorhabens politisch immer höher auf den Baum geklettert, hat auch die Opposition im Land eingebunden. Umfragen zufolge sind mehr als 60 Prozent der Menschen in Belgien gegen das Reparationsdarlehen mit seinen Risiken. Es ist fraglich, wie De Wever einknicken könnte, ohne innenpolitisch angeschlagen zu sein. Mitgliedstaaten, die der Ukraine finanziell helfen können und wollen, könnten einzelne Zusagen machen und bündeln. Doch: Ein paar Milliarden Euro als Notpaket wären international ein Zeichen der Schwäche. Die Handlungsfähigkeit der EU stünde nach so vielen Wochen der Verhandlungen arg infrage.