Datum18.12.2025 05:46
Quellewww.spiegel.de
TLDRDie europäische Gipfel-Debatte steht bevor, bei der Kanzler Merz 200 Milliarden Euro eingefrorenen russischen Vermögens zur Unterstützung der Ukraine ermöglichen möchte. Widerstand aus Belgien und anderen Staaten könnte das Vorhaben gefährden. Zudem wird die neue AfD-Jugend als radikaler und weniger kontrollierbar als ihre Vorgängerorganisation wahrgenommen. Schließlich plant Sahra Wagenknecht, gegen die Entscheidung des Bundestags zur Wahl ihrer Partei BSW vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, was potenziell die politische Landschaft verändern könnte.
InhaltEuropa und der Kanzler stehen vor einer historischen Bewährungsprobe. Die neue AfD-Jugend ist radikaler als die alte. Und: Der Bundestag macht den Weg für Sahra Wagenknecht frei. Das ist die Lage am Donnerstagmorgen. Heute beschäftigen wir uns mit den dramatischen Gipfelstunden, vor denen der Kanzler steht, mit der neuen AfD-Jugend, die noch radikaler als die alte ist, und mit Sahra Wagenknechts Traum vom Bundestag. Friedrich Merz sieht Europa in einer "entscheidenden Stunde unserer Geschichte": Der Kanzler und andere europäische Staatenlenker wollen mehr als 200 Milliarden Euro eingefrorenen russischen Vermögens zur Unterstützung der Ukraine nutzen. Geht es nach Merz, soll die Europäische Union dies auf ihrem Gipfel beschließen, der heute in Brüssel beginnt (mehr dazu hier). Das Problem: Es gibt Widerstand, die notwendige Mehrheit ist gefährdet. In Belgien, wo der größte Teil des Geldes auf Eis liegt, hat man rechtliche Bedenken (mehr dazu hier ). Manche Staaten teilen die Vorbehalte, andere warnen davor, die Belgier einfach zu überstimmen. Die Lage sei völlig verfahren, hört unser EU-Korrespondent Timo Lehmann aus Verhandlungskreisen, eine Lösung nicht in Sicht. Merz ist ins Risiko gegangen, indem er die Angelegenheit zu einer "Schlüsselfrage" für die Handlungsfähigkeit der EU erklärt hat. Er hat die Europäer bei den Ukraineverhandlungen in einem diplomatischen Kraftakt wieder ins Spiel gebracht (mehr dazu hier ). Aber nun könnte er dramatisch scheitern, wenn die EU sich vor den Augen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der persönlich zum Gipfel kommt, zerlegt. Für Merz könnten es "die heftigsten Stunden seiner bisherigen Kanzlerschaft" werden, sagt mein Kollege Timo. Zumal es auch beim Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten eng wird. Auch hier macht Merz Druck, will die Unterzeichnung in diesem Jahr. Aber das Abkommen wackelt, weil jetzt neben Frankreich auch Italien aus Sorge um die europäischen Landwirte bremst. "Verfrüht" käme die Unterschrift, sagt Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – 26 Jahre nach dem Beginn der Verhandlungen. Disziplinierter, professioneller und weniger extrem – zumindest in der Außenwirkung. So hat sich die AfD ihre neue Jugendorganisation vorgestellt. Damit der bürgerliche Wähler nicht durch Negativschlagzeilen über radikale Umtriebe abgeschreckt wird. Dieses Image der "Generation Deutschland" aber ist reine Fassade, so haben es meine Kollegin Ann-Katrin Müller und meine Kollegen Maik Baumgärtner und Johannes Grunert recherchiert. Sie haben sich genauer angesehen, wer sich da so bei der Gründungsversammlung der AfD-Jugend Ende November in Gießen tummelte. Und siehe da: Viele sind oder waren für Organisationen aktiv, die noch deutlich rechts von der AfD stehen. Da ist die Vorstandbeisitzerin aus der Fraueninitiative "Lukreta", die aus der völkischen "Identitären Bewegung" hervorgegangen ist, da sind die Delegierten mit Verbindungen in die rechtsextremen Parteien "Die Heimat" (Ex-NPD) und "Der III. Weg" oder jene mit Kontakten ins gewaltbereite Neonazimilieu. Die "Generation Deutschland" sei nicht mehr nur ein Sammelbecken von Burschenschaftern, Identitären und Völkischen, schreiben Ann-Katrin, Maik und Johannes, sondern noch radikaler als ihre aufgelöste Vorgängerorganisation "Junge Alternative". Die Mutterpartei, die ihren Nachwuchs unbedingt besser unter Kontrolle haben wollte, kündigte an, die genannten Fälle zu überprüfen und "gegebenenfalls entsprechend Schritte" einzuleiten. Sahra Wagenknecht sehnt diese Niederlage herbei. Am frühen Donnerstagabend wird das Parlament aller Voraussicht nach die Einsprüche des von ihr gegründeten BSW gegen die Bundestagswahl als unbegründet zurückweisen. So hat es der zuständige Wahlprüfungsausschuss empfohlen (mehr dazu hier), die Abgeordneten im Plenum werden dem folgen. Mit nichts anderem hat Wagenknecht gerechnet, ihr geht es um den nächsten Schritt: Mit dem offiziellen Beschluss des Bundestags ist der Weg nach Karlsruhe frei. Das BSW wird nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Das Verfahren dürfte sich hinziehen, über ein Jahr vielleicht, dann werden die Richterinnen und Richter entscheiden, ob die Wahl vom 23. Februar dieses Jahres neu ausgezählt werden muss. Haarscharf verpasste das BSW damals den Einzug in den Bundestag, um gerade einmal 0,019 Punkte lag man unter der Fünfprozenthürde. Wagenknecht und ihre Leute sind überzeugt, dass sich die fehlenden 9529 Stimmen bei einer Neuauszählung finden würden. Sie glauben, dass viele Wahlzettel irrtümlich der Splitterpartei Bündnis Deutschland zugeordnet wurden. Hat das BSW in Karlsruhe eine Chance? Ungewiss, auch unter Rechtsexperten gibt es da unterschiedliche Meinungen. Aber spielt man es einmal durch, dann gleicht das Szenario einem politischen Beben: Würde neu ausgezählt und das BSW nachträglich ins Parlament kommen, wären nicht nur etliche Abgeordnete der anderen Parteien ihr Mandat los. Die schwarz-rote Koalition stünde ohne Mehrheit da, die Regierung vor dem Aus. Viel würde und wäre, das stimmt, aber: Auszuschließen ist nichts. Gewissermaßen entscheidet das oberste Gericht auch über Wagenknechts Lebensplanung. Vom Parteivorsitz hat sie sich zurückgezogen, das Bündnis soll bald nicht mehr ihren Namen tragen (mehr dazu hier). Sollte das BSW am Ende aber tatsächlich im Bundestag sitzen, will Wagenknecht wieder in die erste Reihe: als Fraktionschefin. Noch mehr Rätsel wie Viererkette, Wordle und Paarsuche finden Sie bei SPIEGEL Games. Lebensmittelmotten gedeihen in Wohnungen prächtig – und sie sind gefährlicher, als sie aussehen. Wenn Sie die Schädlinge in Ihrer Küche entdecken, müssen Sie schnell handeln . Kommen Sie gut in den Tag. Herzlich, Ihr Philipp Wittrock, Autor im SPIEGEL-Hauptstadtbüro