Verbrenner-Aus: So plant die EU-Kommission die Aufweichung des Verbots

Datum16.12.2025 17:06

Quellewww.spiegel.de

TLDRDie EU-Kommission plant eine Aufweichung des ursprünglich 2023 beschlossenen Verbrennerverbots ab 2035, indem auch dann neue Autos mit Verbrennungsmotor unter bestimmten Bedingungen zugelassen werden dürfen. Hersteller sollen Treibhausgasemissionen nur um 90 Prozent senken müssen und können die restlichen Emissionen durch "grünen" Stahl und klimaschonende Kraftstoffe kompensieren. Diese Reformen verfolgen das Ziel, die Krisen der Autoindustrie zu bewältigen, während Mitgliedstaaten unterschiedlich auf die Vorschläge reagieren, was eine Einigung im Rat erschwert.

InhaltKommando zurück: Auch nach 2035 sollen neue Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen, sagt die EU-Kommission. Die Hersteller sollen sich die Flexibilität erkaufen: mit "grünem" Stahl und klimaschonenden Kraftstoffen. Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. Die Autoindustrie in Europa steckt in der Krise: Klassische Benzin- und Dieselautos verkaufen sich international seit ein paar Jahren schlechter. Auf den wachsenden Markt der Elektrofahrzeuge drängen vor allem Hersteller aus China mit preisgünstigen Modellen. In vielen europäischen Staaten wächst die Nachfrage nach E-Autos bislang nur langsam. Die Folge: Viele Autofabriken und Zulieferbetriebe sind schlecht ausgelastet. Konzerne wie Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW fahren niedrigere Gewinne ein. Zehntausende Arbeitsplätze in der Branche sind bereits weggefallen. Nun will die EU-Kommission der Autoindustrie mit einem großen Paket unter die Arme greifen. Ein Kernbestandteil: Die Brüsseler Behörde will Klimaregeln reformieren, die erst 2023 in Kraft getreten sind. Demnach sollten in der EU von 2035 an nur noch Pkw und leichte Nutzfahrzeuge neu zugelassen werden, die im Betrieb CO₂-frei unterwegs sind. Praktisch liefe das auf E-Autos hinaus. Jetzt rudert die Kommission zurück: Die Branche soll die Treibhausgasemissionen neu zugelassener Autos von 2035 an nicht mehr um 100 Prozent senken müssen, sondern "nur" um 90 Prozent – im Vergleich zum Jahr 2021. Allerdings sollen die Hersteller die restlichen Treibhausgasemissionen kompensieren müssen – über zwei Wege: Da die Kommission diese beiden Kompensationen auf zusammengerechnet zehn Prozent beschränken will, bleibt es dabei, dass sich die Angebotspaletten der Hersteller in Europa in den nächsten Jahren weiter verändern müssen. Allerdings will die Behörde erlauben, dass auch nach 2035 noch Hybridautos, Elektroautos mit einem sogenannten Range Extender ("Reichweiten-Verlängerer") sowie sogar klassische Verbrennerfahrzeuge neu zugelassen werden. Das Paket der Kommission ist jedoch mehr als ein Aus vom Verbrenner-Aus. Brüssel geht es auch darum, dass die Autoflotten großer Unternehmen umweltfreundlicher werden; das zielt vor allem auf Dienstwagen ab. Und die Behörde will die Herstellung von Batteriezellen in Europa fördern, unter anderem mit zinslosen Darlehen. "Als die Debatte über das Verbrenner-Aus begann, klagte die Autoindustrie über mehrere Probleme", sagt William Todts, Direktor der Organisation Transport & Environment (T&E). Nämlich über die schwache Nachfrage nach E-Autos, die hohe Abhängigkeit von Asien in der Batterie-Lieferkette. "Es ist sehr sinnvoll, ein Paket an Problemen mit einem Paket an Lösungsansätzen anzugehen", findet Todts. Die Vorschläge der Kommission sind auch deshalb so umfassend, weil die Stimmung in den EU-Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ist: Deutschland und Italien drängten zusammen mit anderen Ländern auf die Lockerung der CO₂-Regeln, während Spanien und wieder andere Staaten daran festhalten wollen. Konservative und rechte Parteien feiern das Aus vom Verbrenner-Aus, während progressive Kräfte warnen, dass Europas Autoindustrie im internationalen Wettbewerb nun endgültig zurückfallen könnte. Die wichtigsten Argumente und Vorschläge im Überblick. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) argumentierte in einem Brief an seine Parteifreundin, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ("liebe Ursula"), dass die Rahmenbedingungen für den Hochlauf der E-Mobilität "schwierig" seien: Energiekosten würden steigen, hinzu kämen "unfaire Handelspraktiken und Subventionen in Drittstaaten", referierte Merz, ohne China beim Namen zu nennen. Die E-Mobilität sei zwar "die zentrale Zukunftstechnologie", es brauche jedoch "mehr Flexibilität und Technologieoffenheit" auf dem Weg zu einem klimaneutralen Verkehr. Auch andere EU-Staaten mit vielen Autofabriken und Zulieferbetrieben fordern eine Abschwächung der Regeln, darunter Italien, Polen und Ungarn, Tschechien und die Slowakei. Es sind Länder mit konservativen bis rechten Regierungen – und mit niedrigen E-Auto-Anteilen. So waren in der Slowakei voriges Jahr nur 2,4 Prozent aller neu zugelassenen Pkw batterieelektrisch, in Polen drei Prozent, in Italien 4,2 Prozent. Die Gegenbewegung führt Pedro Sánchez an. Der Ministerpräsident von Spanien gilt als mächtigster Sozialdemokrat Europas, seitdem Deutschland wieder von einem konservativen Kanzler regiert wird. Sánchez schrieb vorige Woche ebenfalls einen Brief an die "liebe Ursula" und betonte, wie wichtig es sei, am derzeitigen Ambitionsniveau festzuhalten, "zumal der Markt bereits jetzt Elektrofahrzeuge als die effizienteste und wettbewerbsfähigste Option identifiziert hat". Der Spanier hält nichts davon, nach 2035 noch neue Verbrenner zuzulassen, und sieht auch Hybridautos nur in einer "Übergangsrolle". Damit argumentiert Sánchez ähnlich wie Umweltverbände und die Grünen. Jede weitere Lockerung berge das Risiko, dass sich Investitionen verzögern würden, "verbunden mit einem vorübergehenden Rückgang der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen". Dann würden Werksschließungen und Arbeitsplatzverluste wahrscheinlicher, warnt Sánchez. Unterstützung erhält Spanien unter anderem von Dänemark und Schweden, Belgien und den Niederlanden. In diesen Ländern sind Elektroautos schon deutlich weiter verbreitet. Diese machten etwa in Dänemark voriges Jahr 51 Prozent aller neu zugelassenen Pkw aus, in Schweden 35 Prozent. Die Gesetzgebung steht hier vor dem grundsätzlichen Problem, dass eine Aufweichung all jene Unternehmen bestrafen dürfte, die auf das bisherige Regelwerk vertraut und kräftig in die Produktion von Elektroautos oder den Bau von Ladesäulen investiert haben. Damit Staaten wie Spanien die Reform am Ende mittragen können, hat die EU-Kommission ihr Paket derart groß geschnürt. Beispielsweise hat sich Pedro Sánchez für Sonderregeln für "kleine, erschwingliche Autos" starkgemacht. Diese würden "den Zugang zu Elektromobilität in ganz Europa demokratisieren", warb der spanische Ministerpräsident. Genauso soll es nun kommen: Wenn die Autohersteller in den nächsten Jahren den Durchschnitt über die CO₂-Emissionen ihrer Neuwagenflotten bilden, dann soll jedes kleine, erschwingliche Elektroauto "made in Europe" nicht einfach, sondern gleich 1,3-fach in die Berechnung einfließen, also überproportional. Die Bedingung: Ein solcher "kleiner" Wagen soll nicht länger als 4,20 Meter sein. Dieser Rechenkniff soll es Herstellern, die solche Autos anbieten, erleichtern, die Ziele zu erreichen. Auch der Plan, die Batterieproduktion in Europa zu fördern, kommt in Staaten wie Spanien gut an. Denn die EU müsse unabhängiger von Lieferanten wie China werden, argumentiert Sánchez. Madrid findet auch den Ansatz richtig, die Nachfrage nach Elektroautos über Vorgaben für Firmenflotten anzukurbeln. Das habe unter anderem den Vorteil, dass nach einer Weile mehr umweltfreundliche Gebrauchtwagen auf den Markt kämen; Sozialdemokrat Sánchez hofft so auf einen erweiterten "Zugang zu grüner Mobilität" für die Bürger. Auch Politikberater Todts sieht in den Firmenflotten einen großen Hebel für eine stärkere Nachfrage nach E-Autos. "Etwa 60 Prozent aller Neuwagen in der EU werden von Unternehmen gekauft, nicht von Privatpersonen, zum Beispiel in Form von Dienstwagen", erklärt der T&E-Chef. "Das ist ein Kernmarkt der deutschen Autoindustrie." Konkret will die Kommission den einzelnen Mitgliedstaaten nun Ziele vorgeben, wie "grün" die Flotten großer Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten in den kommenden Jahren werden müssen. Je höher die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in den einzelnen Ländern ist, desto ambitionierter sollen die Vorgaben für die Betriebe sein. Die Mitgliedstaaten sollen jeweils selbst entscheiden, auf welchem Weg sie die Ziele in den Firmenflotten erreichen wollen. Nach Ansicht von EU-Beamten bieten sich dafür vor allem steuerliche Anreize an; dies sei zum Beispiel bei Firmenwagen in Belgien sehr effektiv gewesen. Staatliche Begünstigungen für Dienstwagen sollen es nach Vorstellungen der Kommission künftig nur noch für klimaschonende Fahrzeuge "Made in the EU" geben. Damit die Vorschläge der Kommission Realität werden können, müssen sowohl eine Mehrheit im Europaparlament als auch eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten zustimmen. Letzteres bedeutet: Es bräuchte die Zustimmung von mindestens 15 Ländern, die zusammen wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen. Angesichts der zerfahrenen Lage im Rat werde das "herausfordernd", sagt T&E-Chef William Todts. "Sowohl Staaten wie Deutschland könnten eine Blockade-Minderheit formen als auch Länder wie Spanien", erklärt der Politikberater. "Aber es ist möglich und wichtig, einen Kompromiss zu finden." Im Europaparlament ist Manfred Weber Vorsitzender der größten Fraktion EVP. Der CSU-Politiker hat schon vorige Woche Ergebnisse von Vorgesprächen mit Kommissionspräsidentin von der Leyen vorweggenommen und als seinen politischen Erfolg gefeiert; von der Leyen braucht Webers Fraktion für eine Parlamentsmehrheit. "Das Verbrenner-Aus ist Geschichte", postete Weber bereits am Freitag von einem Treffen mit Kanzler Merz und weiteren konservativen Politikern in der altehrwürdigen Universität Heidelberg. Die Retro-Tapete des Raums verlieh dem Post auf der Plattform X einen reichlich musealen Charakter. Offen ist allerdings, mit wessen Stimmen die EVP die Parlamentsmehrheit erreichen will. Eigentlich arbeitet Webers Fraktion, der unter anderem CDU- und CSU-Abgeordnete aus Deutschland angehören, in der sogenannten Plattform mit Sozialdemokraten und Liberalen zusammen. Doch die Vorweg-Kommunikation hat manchen Plattformpartner vor den Kopf gestoßen. Von der Leyen und Weber hätten sich offenbar "im Hinterzimmer" geeinigt, kritisierte der SPD-Europaparlamentarier Tiemo Wölken. "Um es ganz klar zu sagen – demokratisches Policymaking geht anders." So kursiert in Brüssel und Straßburg die Befürchtung, die EVP könnte die Lockerung des Verbrenner-Aus am Ende zusammen mit extrem rechten Fraktionen beschließen, denen unter anderem AfD-Abgeordnete angehören. Bereits im November hatte das Parlament mit rechter Mehrheit die Abschwächungen der EU-Lieferkettenrichtlinie  und der Entwaldungsverordnung auf den Weg gebracht. "Anstatt die Einigung in der demokratischen Mitte zu suchen und sich mit den anderen Fraktionen der sogenannten Plattform abzustimmen, setzen von der Leyen und die EVP ganz offensichtlich auf Populisten und Rechtsextremisten", schimpfte SPD-Mann Wölken. Die weiteren Abstimmungen zwischen Kommission, Parlament und Rat könnten sich noch über Monate hinziehen. Immerhin: Im Autopaket stecken auch Ideen, die parteiübergreifend Rückhalt finden – zum Beispiel: die Nutzung von klimaschonend produziertem Stahl zu fördern. Der geplante Bonus für "grünen" Stahl hälfe der Stahl- und der Autoindustrie gleichermaßen, hoffen sowohl konservative als auch progressive Kräfte. Eine Schwäche des Grünstahl-Bonus besteht allerdings darin, dass die Stahlindustrie in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ohnehin ihre Produktion wird umstellen müssen, um die Klimaziele des Industriesektors erreichen zu können. Diese Hinwendung zum "grünen" Stahl würde in der europäischen Klimagesetzgebung künftig doppelt angerechnet, wenn Autohersteller das Material ebenfalls in der CO₂-Flottenregulierung anwenden dürfen. T&E-Chef Todts hofft, dass sich die politischen Kräfte zusammenraufen werden. "Die europäische Autoindustrie braucht einen starken Heimatmarkt für Elektroautos, damit sie im Wettbewerb mit China bestehen kann", sagt der Politikberater. "Jede weitere Verunsicherung wäre schädlich für die Industrie."