Alternative Wohnmodelle: Einzelzimmer im Knast, 375 Euro warm

Datum11.10.2025 20:06

Quellewww.zeit.de

TLDRDer Artikel präsentiert fünf innovative Wohnmodelle in Europa, die Umnutzungen leerstehender Gebäude thematisieren. Beispiele sind ein ehemaliger Büroturm in Sarcelles, ein Containerwohnheim in Kopenhagen, eine Kirche in Rotterdam, ein ehemaliges Gefängnis in Schweden und ein Seniorenwohnheim in den Niederlanden, wo Studierende wohnen und helfen. Diese Modelle betonen Umweltfreundlichkeit und soziale Interaktion. Architekt Christian Schlüter hebt das Potenzial der Umnutzung in Deutschland hervor, sieht jedoch Herausforderungen wie sanitäre Nachrüstungen und die Lage vieler leerstehender Gebäude.

InhaltVom französischen Büroturm bis zum schwedischen Knast: fünf innovative Wohnideen aus Europa, die auch bei uns funktionieren könnten Was ist die Idee? Eines der höchsten Gebäude in Sarcelles nördlich von Paris stand jahrelang leer: Der Tour Forum, erbaut im Jahr 1972, war ein gigantischer Bürokomplex. 2022 begann ein großer Umbau, getragen vom sozialen Wohnungsbauunternehmen Vilogia: Die 14 Stockwerke wurden renoviert, die Wärmeisolierung wurde verbessert, die Fassade blieb erhalten. So verwandelten sich die Büros in ein Studierendenwohnheim mit 137 Unterkünften, Arbeitsräumen und einer eigenen Bibliothek. Was sind die Vorteile? Umnutzungen von Gebäuden schonen die Umwelt, denn es muss kein neuer Boden versiegelt werden. Oft kann wie in Sarcelles mit vorhandenem Baubestand gearbeitet werden, so werden Ressourcen gespart. Und das Viertel wird durch ein neues Studierendenwohnheim belebt und aufgewertet. Was kostet das? Für ein Einzelzimmer mit 20 Quadratmetern, eigener Küche und Bad zahlt man im Monat rund 450 Euro warm. Daneben gibt es andere Zimmertypen zu variablen Preisen, etwa WGs oder größere Wohnungen. Zum Vergleich: Laut der Studie einer Forschungseinrichtung zum studentischen Leben zahlten Studierende im Pariser Umland 2023 durchschnittlich 640 Euro Kaltmiete. Geht das auch bei uns? In Deutschland stehen viele Bürogebäude leer, seit der Pandemie hat sich der Trend zum Homeoffice verstärkt. "Die Umnutzung von Büros hat Potenzial", sagt Christian Schlüter, Architekt mehrerer Wohnheime und Professor für Architektur. Die Grundstruktur vieler Gebäude eigne sich fürs Wohnen, allerdings müssten oft sanitäre Anlagen teuer nachgerüstet werden. Ein zweiter Faktor sei die Lage: Leer stehende Büros liegen oft an Stadträndern, viele Studierende wohnen lieber zentral oder nah am Campus. Die Zahl potenzieller Gebäude ist also überschaubar. Was ist die Idee? Das Wohnheim Urban Rigger im Hafen von Kopenhagen treibt auf dem Wasser und besteht aus umgebauten Schiffscontainern. Als Fundament dienen Pontons aus Beton. Darauf werden Container gestapelt, insgesamt gibt es 72 Apartments, mehr als 100 Menschen leben dort. Die Dächer der Container lassen sich als Terrasse, Grünfläche oder Untergrund für Photovoltaikanlagen nutzen. Was sind die Vorteile? Container sind, verglichen mit anderen Baumaterialien, eher günstig und können in Massen hergestellt werden. Kein Wunder also, dass sie zum Trend im Wohnungsbau geworden sind. Im französischen Le Havre wurde schon 2010 die Résidence A Docks eröffnet, ein staatliches Wohnheim mit 100 Unterkünften aus gestapelten Containern. Ein Bonus des Kopenhagener Projekts: Weil die Containerplattform auf dem Wasser liegt, wird ganz neue Baufläche erschlossen. Was kostet das? Kopenhagen ist teuer, eine Containerwohneinheit mit 23 Quadratmetern kostet rund 1.000 Euro Monatsmiete. Es gibt auch größere Einheiten mit 30 Quadratmetern, darin leben vor allem Paare. In der Résidence in Le Havre zahlt man 389 Euro für 24 Quadratmeter. Geht das auch bei uns? "Die Logistikbranche boomt", sagt der Architekt Christian Schlüter, "damit werden Container gerade zur Mangelware." Zudem müssten Stahlcontainer zum Wohnungsbau aufwendig nachgerüstet werden, was etwa Schall- und Wärmeschutz angeht. Das schränke die Skalierbarkeit solcher Projekte ein. Für zukunftsweisend halte er aber die Grundidee, Wohnraum in Modulen zu denken. Elemente wie Wände und Sanitärzellen werden vorgefertigt, man muss sie vor Ort nur noch zusammenfügen. Das vereinfacht die Fertigung und verkürzt die Bauzeit. Was ist die Idee? Wo Gläubige früher Gottesdienste feierten und die Beichte ablegten, leben und lernen heute Studierende. Die katholische Kirche des Heiligsten Erlösers in Rotterdam stand schon einige Jahre leer, als im Jahr 1979 ein Feuer ausbrach. Danach wurde das Gebäude renoviert und zum Studierendenwohnheim De Kerk umfunktioniert. Auf sechs Stockwerken leben mehr als 200 Studierende. Die Fassade der neogotischen Kirche, erbaut zwischen 1882 und 1884, ist weitgehend erhalten. Drinnen gibt’s dagegen viel Bambus und Pastellfarben. In der Mitte des Kirchenschiffs steht eine Tischtennisplatte für alle. Was sind die Vorteile? Die Kirchen verlieren in vielen Ländern Mitglieder und müssen immer häufiger Immobilien abtreten. Was also tun mit leer stehenden Kirchengebäuden? In vielen Fällen werden sie schon kreativ umfunktioniert: zur Boulderhalle, zum Restaurant, zum Indoor-Skatepark, zum Co-Working-Space oder wie in Rotterdam zu Wohnraum. Was kostet das? Die Miete für ein Einzelzimmer mit 17 Quadratmetern beginnt bei 323 Euro, für die WG-Zimmer mit 22 Quadratmetern bei 266 Euro. Geht das auch bei uns? "Kirchenräume sind weitläufig und haben hohe Decken, sind also nicht unbedingt zum Wohnen geeignet", sagt der Architekt Christian Schlüter. Wer sie als Wohnraum umnutzen will, muss also massiv umbauen. Und da kommt das zweite Problem ins Spiel: Viele Kirchengebäude stehen unter Denkmalschutz, was bauliche Eingriffe verkompliziert. Dass so etwas trotzdem auch in Deutschland gelingen kann, zeigt ein Projekt in Hannover: Im Stadtteil Linden-Nord wurde 2019 die frühere evangelische Gerhard-Uhlhorn-Kirche in ein Studierendenwohnheim mit 27 Zimmern verwandelt. Was ist die Idee? Am Eingang des Wohnheims passieren die Bewohnerinnen eine schwere Tür mit Gitterstäben aus Eisen, ein Überbleibsel aus der Zeit, als das Gebäude noch ein Gefängnis war. Die einstige Haftanstalt im schwedischen Halmstad ist seit 2019 ein Wohnheim für Studentinnen. 24 Frauen wohnen in den früheren Zellen. Die Räume wurden umfassend renoviert und sind natürlich nicht so feucht und düster wie in Gefängnis-Serien. Doch viel von der alten Gebäudestruktur blieb bewusst erhalten: Die Türen, die die Zellen abschließen, sind immer noch dieselben. Die ehemalige Gefängniswerkstatt ist heute ein Lernraum. Was sind die Vorteile? Öffentliche Gebäude stehen oft leer, wenn sie nicht mehr gebraucht werden: Gefängnisse, Krankenhäuser, Schulen. Eine Umnutzung bietet sich also an, ist aber wegen der oft speziellen Gebäudestrukturen ziemlich herausfordernd für Architekt:innen. Was kostet das? Für ein Zimmer auf 10 Quadratmetern zahlen die Mieterinnen etwa 375 Euro warm. Da die Zimmer klein sind, spielt sich der Großteil des Alltags in den Gemeinschaftsräumen ab. Es gibt auch größere Zimmer, für die mehrere Zellen verbunden worden sind. Geht das auch bei uns? "Es ist eine Sondersituation", sagt der Architekt Christian Schlüter: Die einzelnen Zellen seien sehr klein, Bäder müssten in der Regel auch hier nachgerüstet werden. Außerdem haben Gefängnisse – anders als Büros – eine sehr massive Gebäudestruktur mit schweren Wänden. Dadurch sind sie nicht so leicht umzubauen. Dazu kommt: Viele Gefängnisse liegen eher dezentral. Dennoch kann die Umnutzung funktionieren. In Berlin-Charlottenburg wurde ein ehemaliges Frauengefängnis zum Hotel Wilmina mit 44 Zimmern umgebaut. Was ist die Idee? Studierende bringen ihren ergrauten Nachbar:innen Bierpong bei, im Gegenzug kriegen sie lebensweise Datingtipps der Älteren: Das Seniorenwohnheim Humanitas im niederländischen Deventer bringt Jung und Alt zusammen, schon seit 2015. Sechs Studierende wohnen gratis im Altersheim und engagieren sich im Gegenzug 30 Stunden pro Monat. Sie bereiten das gemeinsame Abendessen vor, unterstützen ihre älteren Nachbar:innen im Alltag oder plauschen mit ihnen. Das Altersheim bewirbt freie Plätze in sozialen Medien, die dort lebenden Studierenden und ein Gremium der älteren Bewohner:innen casten dann gemeinsam. Was sind die Vorteile? Senior:innen fehlt oft sozialer Austausch. Die Nachbarschaft mit Studierenden bereichert den Alltag. Und die Studierenden sind in einer ganz anderen Bubble unterwegs als auf dem Campus und lernen noch ein paar andere Sachen fürs Leben als im Statistikseminar. Was kostet das? 0 Euro. Die Studierenden zahlen nur eine "soziale Miete", wie es der Betreiber nennt. Das heißt: Sie sind gute Nachbarn und packen mit an. Die Zimmer sind 30 Quadratmeter groß, haben eine kleine Küche, Toilette und Bad. Geht das auch bei uns? "Spannende Idee", sagt der Architekt Christian Schlüter. Auch weil dafür keine Umbauten nötig sind. In Deutschland gibt es ähnliche Projekte. Elf Studierendenwerke beteiligen sich am Modell "Wohnen für Hilfe". Studierende werden dabei an Senior:innen vermittelt, die in ihrer privaten Wohnung ein Zimmer frei haben. Sie zahlen wenig oder keine Miete, im Gegenzug unterstützen sie ihre Gastgeber:innen im Alltag. In einigen Städten, etwa in Freiburg, kooperiert das Studierendenwerk auch mit Seniorenwohnheimen.