Feminismus in China: Sexueller Rohstoff

Datum12.10.2025 19:14

Quellewww.zeit.de

TLDRIn China sorgt der Fall einer Studentin, die wegen einer Nacht mit einem Ausländer von der Uni exmatrikuliert werden soll, für Aufregung. Die Diskussion über ihre "unangemessenen Verhältnisse" verdeutlicht, wie die kommunistische Führung Feminismus fürchtet und patriarchale Strukturen aufrechterhält. Während offiziell Gleichberechtigung propagiert wird, zeigt die Reaktion auf den Vorfall das anhaltende Stigma und den männlichen Hass gegenüber Frauen, die mit Ausländern in Beziehung stehen. Feministische Debatten zielen auf ungerechte Rollenbilder und die Lebensrealitäten von Frauen ab.

InhaltEine Studentin fliegt von der Uni, weil sie eine Nacht mit einem Ausländer verbrachte. Der Fall spaltet Chinas Netz – und zeigt, warum die Führung Feminismus fürchtet. Man muss sich Chinas Frauen als glückliche Menschen vorstellen. Für ihre "Befreiung und Entwicklung sowie die Gleichberechtigung der Geschlechter" kämpft die Kommunistische Partei Chinas seit ihrer Gründung. So steht es in einem gerade veröffentlichten Weißbuch, mit dem die Machthaber der Volksrepublik den "sozialistischen Weg der Frauenentwicklung mit chinesischen Merkmalen" preisen. Was nicht drinsteht: Warum die Führungsspitze der Partei ausschließlich männlich besetzt ist. Nun liegen Anspruch und Wirklichkeit in Chinas politischer Kommunikation oft weit auseinander. Das propagandistische Weißbuch wäre insofern kaum bemerkenswert – wenn nicht kurz vor seiner Veröffentlichung eine Affäre das chinesische Netz aufgewühlt hätte, die ein realistischeres Bild der sogenannten Frauenfrage zeichnet. "Schande für die Nation", schrieb da ein Mann. Ein anderer: "Die chinesische Blutlinie darf nicht vergiftet werden." Ein dritter: "Sie hat dem weißen Mann die Hundeleine gegeben, an der er sie spazieren führt." Und noch einer: "Frauen in China, die Ausländer vergöttern – das sind solche, die schon seit dem Opiumkrieg niederknien." Und so ging es weiter auf Douyin, der chinesischen Version von TikTok. Der männliche Hass, der sich hier wochenlang Bahn brach, entzündete sich an einer im Grunde banalen Geschichte. Eine Studentin aus der nordostchinesischen Stadt Dalian, 21 Jahre alt, Nachname Li, besucht im vergangenen Dezember ein Computerspielturnier in Shanghai. Sie lernt dort den Star-Zocker Danylo "Zeus" Teslenko kennen, einen Ukrainer. Nach einer gemeinsamen Nacht in dessen Hotelzimmer postet der 37-Jährige in seinem Telegram-Kanal ein paar Kurzvideos der beiden, eher turtelig als schlüpfrig. Das spricht sich in chinesischen Gamer-Kreisen herum – und in der Folge an Lis Uni. Im Juli schließlich taucht auf der Website der Polytechnischen Hochschule von Dalian eine Mitteilung auf, gerichtet an die mit vollem Namen genannte Studentin: Wegen ihres "unangemessenen Verhaltens" beabsichtige man, Li zu exmatrikulieren. Begründet wird der geplante Rausschmiss mit den Uni-Statuten, in denen sich – neben Regeln gegen Pornokonsum und vorehelichen Sex – dieser Passus findet: "Unangemessene Verhältnisse zu Ausländern, die der Ehre der Nation und dem Ruf der Hochschule schaden, unterliegen disziplinarischen Maßnahmen bis hin zur Entlassung." Wochenlang diskutierte das chinesische Netz erbittert über die Frage, was der One-Night-Stand einer Studentin mit Chinas Ehre zu tun hat. Und ob der Fall mit umgekehrten Geschlechterrollen wohl genauso gehandhabt worden wäre (weitgehender Konsens: nein). Und wie es sich mit dem Schutzauftrag einer Hochschule verträgt, eine Studentin öffentlich zur Unperson zu machen. Eine Pekinger Soziologin verglich den Fall mit der altchinesischen Hinrichtungspraxis des "Schweinekäfigs": Untreue Ehefrauen pflegte man einst in Gitterverschlägen durch die Straßen zu paradieren, bevor man sie samt Käfig im Fluss versenkte. Vor allem aber um eine Frage drehte sich die Debatte, auch wenn wenige sie explizit so formulierten: Was bedeutet all das für die Lage von Frauen im 76. Herrschaftsjahr der Partei, die sich in ihren Weißbüchern bis heute auf die klassischen Emanzipationsversprechen kommunistischer Regime beruft? "Frauen", so soll es Chinas Staatsgründer Mao Zedong gesagt haben, "tragen die Hälfte des Himmels." Wahr ist, dass in der Tektonik der Volksrepublik den Frauen bald erhebliche Stützfunktion zukam; aber auch, dass sie bis heute meist zusätzlich alle häuslichen Pflichten stemmen. Feministische Debatten in China drehen sich oft um diese Ungleichverteilung von Lasten, um die damit einhergehenden Rollenbilder und Machtverhältnisse, um eine nachhaltig revolutionsresistente Männersicht auf Frauen, wie sie zuletzt der Uni-Skandal von Dalian offenbarte.