Datum14.10.2025 14:36
Quellewww.zeit.de
TLDRPräsident Erdoğan nutzte die Friedensverhandlungen im Nahen Osten, um die Türkei als wichtigen Akteur zu positionieren. Bei einer Konferenz in Ägypten drohte er, zurück nach Ankara zu fliegen, falls der israelische Premier Netanjahu teilnehmen würde. Letztlich blieb Netanjahu fern, was Erdoğan ermöglichte, im Mittelpunkt der Gespräche zu stehen. Die Türkei hat enge Beziehungen zur Hamas, die als Freiheitskämpfer angesehen wird, und Erdoğan wird in der arabischen Welt zunehmend als bedeutender Diplomat wahrgenommen.
InhaltGute Drähte zur Hamas, Komplimente von Donald Trump: Die Bemühungen um einen Frieden im Nahen Osten geben der Türkei neues Gewicht. Präsident Erdoğan weiß das zu nutzen. Das Flugzeug des türkischen Staatspräsidenten kreiste über dem Roten Meer. Statt im Badeort Scharm al-Scheich zu landen, war es beim Anflug kurz vorher über die Bahn hinausgeschossen. So stand es zumindest in der türkischen Presse. Recep Tayyip Erdoğan war am Montag nach Ägypten aufgebrochen, um dort mit fast 30 weiteren Staats- und Regierungschefs die Vereinbarung für eine Waffenruhe in Gaza zu feiern. Dann gab es Probleme an Bord – nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Diplomatie. Türkische Medien berichteten, dass Erdoğan noch aus der Luft gedroht habe: Er werde zurück nach Ankara fliegen, wenn es stimme, dass der israelische Premierminister auch nach Ägypten komme. Erdoğan verteufelt Benjamin Netanjahu seit Beginn des Kriegs in Gaza. Mal nennt er ihn "Hitler", mal einen "Terroristen", mal einen "Wahnsinnigen", der einen Genozid befehlige. Über der Botschaft in Tel Aviv weht zwar immer noch die türkische Flagge, Erdoğan will aber nicht mit dem Premier gesehen werden. Der Gastgeber in Scharm al-Scheich, der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sissi, müsse sich also entscheiden: Erdoğan oder Netanjahu. Dieselbe Botschaft übermittelte die türkische Regierung Berichten zufolge auch an die USA. Mit deren Präsident soll Al-Sissi kurz davor telefoniert haben: Donald Trump habe gefragt, ob Netanjahu auch nach Scharm al-Scheich kommen könne. Auch Al-Sissi und der israelische Premier sind momentan nicht die besten Freunde. Ihre Regierungen kommen aus, wenn sie es wirklich müssen. Weil Al-Sissi zum US-Präsidenten aber nicht Nein sagen kann, soll er Ja gesagt haben – Beziehungschaos unter Staats- und Regierungschefs. Die Einladung in letzter Minute war dabei nicht nur für Erdoğan ein Affront. Auch ein Berater des irakischen Premierministers erklärte gegenüber der Presse: Die irakische Delegation werde das Treffen boykottieren, wenn Netanjahu komme. Über dem Roten Meer soll Erdoğan eine Telefonstaffel gestartet und die Ägypter und US-Amerikaner bedrängt haben. Die wiederum sollen mit den Israelis gesprochen haben. Erst als Netanjahus Büro mitteilte, dass der Premier die Einladung dankend abgelehnt habe, sei Erdoğan in Scharm al-Scheich gelandet. Die türkische Presse feierte ihren Präsidenten für die Intervention. Auch Al-Sissi dürfte aufgeatmet haben. Denn nicht alle seiner Gäste erkennen Israel an. Wie hätten etwa der Präsident Indonesiens oder der Premier von Pakistan reagiert, wenn Netanjahu plötzlich vor ihnen gestanden hätte? Die Konferenz für Frieden im Nahen Osten wäre wahrscheinlich zu einem diplomatischen Desaster geworden, bei dem alles im Mittelpunkt gestanden hätte – nur nicht der Frieden im Nahen Osten. Netanjahus Büro schob die Ablehnung der Einladung derweil diplomatisch geschickt auf das jüdische Fest Schmini Azeret, das am Montagabend begann. Traditionell vermeiden israelische Politiker Reisen an Feiertagen, es sei denn, die Umstände sind außergewöhnlich. Die Unterzeichnung einer Vereinbarung für eine Waffenruhe in Gaza ist demnach nicht so ein Umstand. Aber auch in Israel hatten rechtsextreme Regierungspolitiker gedroht: Flöge Netanjahu nach Scharm al-Scheich, träten sie zurück. Wirklich gebraucht wurde der israelische Premier in Ägypten nicht. US-Präsident Trump hatte ihn zuvor in Israel ausführlich gesprochen. Zudem fehlte beim Treffen am Roten Meer auch der andere Hauptakteur des Kriegs in Gaza, die Terrororganisation Hamas. Zu ihr hat offiziell kein Land gute Beziehungen. Nur die Türkei. Eine Rolle spielt zwar auch Katar – aber nur als wichtiger Finanzier. Das Emirat beherbergt seit 2012 die politische Führung der Hamas, weil die damalige US-Regierung einen inoffiziellen und unkomplizierten Gesprächskanal suchte. Den besseren Draht zur Hamas hat die Türkei. Für Erdoğan sind die Islamisten keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer. Die Regierung dementierte zwar stets Berichte, wonach die größte islamistische Organisation der arabischen Welt in Istanbul ein Büro habe. Erdoğan empfing Hamas-Funktionäre zuletzt jedoch mehrfach öffentlich. Es soll dabei auch um die Zukunft von Gaza gegangen sein.