Datum13.10.2025 05:40
Quellewww.zeit.de
TLDRDer Artikel beleuchtet die Macht von MSCI im Bereich der Exchange-Traded Funds (ETFs) und deren Einfluss auf globale Kapitalströme. MSCI erstellt Indizes wie den MSCI World, der mehr als 1.300 Unternehmen umfasst. Über zehn Millionen Menschen in Deutschland investieren in ETFs, wobei viele an MSCI World gekoppelt sind. MSCI erzielt hohe Gewinne durch Lizenzgebühren, trotz der Tatsache, dass alternative, kostengünstigere Investitionsmöglichkeiten existieren. Die Entscheidungen von MSCI beeinflussen direkt die Altersvorsorge vieler Anleger und die wirtschaftliche Lage von Ländern.
InhaltETFs gelten als günstig. Sie könnten noch günstiger sein. Wenn nicht Unternehmen wie MSCI über hohe Gebühren Milliardengewinne machen würden. Alternativen gäbe es. Kapital sei ein scheues Reh, heißt es. Wenn man sich aber länger mit dem Unternehmen MSCI beschäftigt, wirkt Kapital eher wie eine träge Kuh, die sich an einem Nasenring herumführen lässt. In welche Richtung, das entscheiden die Mitarbeiter von MSCI. Sie bestimmen, wohin die Ersparnisse von Millionen Menschen weltweit fließen. Ob damit Aktien von Apple oder Rheinmetall gekauft werden, ob es an die Börse in Shanghai oder in London wandert. Die träge Kuh, die MSCI dirigiert, das ist eine unvorstellbar große Summe an Kapital: zwei Billionen Dollar. MSCI, ehemals Morgan Stanley Capital International, verwaltet dieses Geld nicht selbst, hat aber etwas, dem das Geld willenlos zu folgen scheint: Das Unternehmen erstellt Aktienindizes. Sein bekanntestes Produkt ist der MSCI World. Das ist eine lange Liste von mehr als 1.300 börsennotierten Unternehmen aus 23 Industrieländern. Auf ihr stehen US-Konzerne wie Apple, Microsoft und Nvidia, aber auch die deutsche SAP. Hinter jedem Unternehmen ist wie auf einem Einkaufszettel notiert, zu welchem Anteil man sein Geld in diese Aktie investieren muss, um die Mischung "MSCI World" zu erhalten. Klingt skurril, aber viele börsengehandelte Fonds (ETFs) machen nichts anderes, als anhand dieser Liste das Geld der Anleger zu verteilen. Mehr als zehn Millionen Menschen in Deutschland haben laut einer Studie der amerikanischen Investmentgesellschaft BlackRock Teile ihres Vermögens in ETFs angelegt. Wie viele davon an den MSCI World gekoppelt sind, ist nicht bekannt. Allerdings zeigen Analysen der Consorsbank, dass diese Aktienmischung die beliebteste unter Privatanlegern ist. Für diese Sparer hängt die Altersvorsorge daran, welche Aktien MSCI auswählt. Und für manche Regierungen hängt das Schicksal ihres Landes davon ab, ob MSCI das Kapital in ihre Wirtschaft zieht. Vor einigen Jahren schickte die Regierung von Peru sogar eine Delegation nach New York, weil sie mit einer Entscheidung der Firma nicht zufrieden war. Wie konnte MSCI so mächtig werden, und wie entscheidet das Unternehmen, welche Aktien und Länder auf seine Listen kommen? Was schnell auffällt, wenn man zu MSCI recherchiert: Das Geschäft läuft gut. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen, das selbst an der Börse gelistet ist, einen Umsatz von 2,9 Milliarden Dollar – und behielt mehr als die Hälfte davon als Gewinn. Der Industriekonzern Volkswagen ist schon mit sechs Prozent Marge zufrieden. MSCI sollte also kein Problem damit haben, über den eigenen Erfolg zu sprechen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Nachdem sich die ZEIT bei MSCI meldet, bittet das Unternehmen um eine schriftliche Anfrage. Dann dauert es Monate, bis ein Gespräch mit einer Führungskraft zustande kommt: mit Sebastien Lieblich, 48 Jahre alt, Schweizer und seit mehr als 20 Jahren für MSCI tätig. Als "Managing Director" kümmert er sich um die Entwicklung der Indexprodukte des Unternehmens. Auch ihm ist die Bedeutung seines Arbeitgebers bewusst. "Unsere Entscheidungen haben praktische und reale Konsequenzen, und wir nehmen das sehr ernst", sagt Lieblich bei einem Videotelefonat. Um zu verstehen, wie MSCI ein so dominanter Akteur werden konnte, muss man zurückschauen. Vor der Jahrtausendwende dienten Indizes als eine Art Wetterbericht für die Finanzmärkte. Wer wissen wollte, wie sich die Börsen in einer Region entwickelt hatten, schaute auf einen Index. Der fasst die Kurse der wertvollsten Firmen in einer einzigen Zahl zusammen. Professionelle Anleger nutzten diese Zahl auch als Maßstab: Haben wir mit unseren Investments eine gute Rendite erzielt? Oder wäre es besser gewesen, das Geld einfach in die größten Konzerne eines Landes oder einer Region zu stecken? 1986 entwickelte ein Team von MSCI das Regelwerk für den MSCI World. Bis dahin gab es nur Indizes für nationale oder regionale Märkte. Etwa den S&P 500 von Standard & Poor’s (S&P), der die Wertentwicklung der 500 wertvollsten US-Unternehmen abbildet. MSCI erkannte die Marktlücke und lieferte den Wetterbericht für den globalen Aktienmarkt. Ab den 2000er-Jahren wurden Indizes zur Grundlage einer Investmentstrategie. Weil es vielen Fondsmanagern nicht gelang, den Markt zu schlagen, wollten Anleger ihr Geld lieber direkt in den Markt investieren. Einige Investmentfirmen boten deshalb Fonds an, bei denen kein Manager entscheidet, welche Aktie gekauft wird. Stattdessen fließt das Geld automatisch in Wertpapiere, die auf Listen wie dem MSCI World stehen. Das eröffnete ein neues Geschäftsfeld für Indexanbieter wie MSCI: Sie verlangten Lizenzgebühren dafür, dass ETFs die Daten und den Markennamen ihrer Indizes verwenden dürfen.