Bundesinnenministerium: Verfassungsschutz überprüft Hunderte Nichtregierungsorganisationen

Datum16.10.2025 08:30

Quellewww.zeit.de

TLDRDas Bundesinnenministerium gibt bekannt, dass der Verfassungsschutz in den letzten vier Jahren über 2.500 staatlich geförderte Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen überprüft hat, um "verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse" festzustellen. Die Linke kritisiert diese Praxis als "Regime der geheimdienstlichen Ausspähung". Es gab 210 Fälle, in denen eine Förderung abgelehnt wurde. Die Zunahme der Überprüfungen, insbesondere bei Demokratieförderprojekten, sorgt für Besorgnis. Die politische Diskussion dreht sich um Misstrauen gegen zivilgesellschaftliche Initiativen, insbesondere von der Union unter Friedrich Merz.

InhaltAuf Anfrage überprüft der Verfassungsschutz staatlich geförderte Organisationen und Personen. Die Linke spricht von einem "Regime der geheimdienstlichen Ausspähung". Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in den vergangenen vier Jahren im Auftrag der Bundesregierung mehr als 2.500 Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen überprüft, die öffentliche Fördermittel beantragt haben. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor, die dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorlag. Demnach wurden in den Jahren 2020 bis 2024 insgesamt 1.250 NGOs und 1.296 Einzelpersonen nach dem sogenannten Haber-Verfahren überprüft. Das Verfahren sieht vor, dass Bundesministerien und -behörden Anfragen an den Verfassungsschutz richten können. Dieser überprüft dann, ob "verfassungsschutzrelevante Erkenntnisse" über Personen oder Organisationen vorliegen, die Fördergelder beantragt haben. Einen konkreten Verdacht braucht es dafür nicht. Die Personen oder Organisationen werden nicht darüber informiert, dass sie vom Geheimdienst überprüft wurden. Laut dem Bundesinnenministerium meldete der Verfassungsschutz in 210 Fällen entsprechende Erkenntnisse. In diesen Fällen empfiehlt das Ministerium, eine Förderung abzulehnen. Das Haber-Verfahren gibt es in Grundzügen seit 2004. Wie viele Abfragen es seitdem insgesamt gab, ist nicht bekannt. Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage im Jahr 2018 ging jedoch hervor, dass zwischen 2004 und 2018 rund 50 Antragssteller aus dem Förderprogramm "Demokratie Leben" überprüft wurden. In den Jahren 2018 und 2019 wurden nach Angaben der Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine weitere parlamentarische Anfrage insgesamt rund 330 Verfassungsschutzüberprüfungen für mehrere Ministerien und Behörden durchgeführt. Schon 2019 kritisierte der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber das Vorgehen und forderte eine klare Rechtsgrundlage. Im laufenden Jahr dürfte die Zahl der Überprüfungen noch deutlicher ansteigen. So teilte Bundesfamilienministerin Karin Prien (CDU) im August mit, sie habe eine "breit angelegte Verfassungsschutzprüfung" für Tausende von ihrem Ministerium geförderte Demokratieförderprojekte eingeleitet. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, kritisierte die Zunahme solcher Überprüfungen. Das Bundesinnenministerium und der Verfassungsschutz hätten in den vergangenen Jahren hinsichtlich der Zivilgesellschaft "eine Verdachtskultur und ein Regime der geheimdienstlichen Ausspähung etabliert", sagte sie dem RND. Es sei bekannt, dass die Union unter Bundeskanzler Friedrich Merz "Initiativen, die sich gegen den Rechtsruck, für die Rechte von Geflüchteten und queeren Menschen einsetzen, misstrauisch bis feindlich gegenübersteht". Die Anfrage mache deutlich, dass das Problem weiterreiche als bisher angenommen, sagte Bünger. "Auch die Vorgängerregierungen begegneten der Zivilgesellschaft demnach bereits mit großem Misstrauen."  Anfang des Jahres hatten CDU und CSU im Bundestag gemeinsam mit der AfD für eine Änderung der Migrationspolitik votiert. Der Vorgang löste große Proteste gegen die Union und den damaligen Kanzlerkandidaten Friedrich Merz aus, zu denen auch viele NGOs aufriefen. Die Union kritisierte eine vermeintliche "Stimmungsmache" gemeinnütziger Vereine gegen Merz und stellte eine Anfrage über die Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen, die 551 Fragen zu Organisationen wie Omas gegen Rechts, BUND und dem Recherchenetzwerk Correctiv beinhaltete. An der Anfrage gab es viel Kritik, die damalige Bundesregierung wies den Vorwurf angeblicher "Schattenstrukturen" zurück. Teile von CDU und CSU sprachen sich dennoch für eine deutliche Einschränkung staatlicher Förderung für NGOs aus sowie für die stärkere Überprüfung geförderter Personen und Organisationen.